Marcel Cuendet, die Totalrevision des Bildungsplans Dentalassistentin ist fast abgeschlossen. Wieso war diese überhaupt nötig?
2010 haben wir die aktuell gültige Verordnung zum Bildungsplan eingeführt. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) verlangt ca. alle fünf bis zehn Jahre mindestens eine teilweise Revision. Wir haben bei der Bearbeitung festgestellt, dass sich zu viel verändert hat und wir einiges besser machen könnten, weshalb wir uns dann für eine Totalrevision entschieden haben. Das macht den Beruf der Dentalassistentin (DA) fit für die Zukunft.
Können Sie ein konkretes Beispiel geben?
Im Bereich des zahnärztlichen Röntgens gab es grosse Veränderungen. Früher setzte man auf Chemie und Papierbilder. Mittlerweile liegt der Schwerpunkt auf der digitalen Verarbeitung. Eine solche Veränderung der Arbeitsumstände muss sich in der Ausbildung widerspiegeln.
Die Totalrevision zieht strukturelle Veränderungen nach sich. Worum geht es konkret?
Sie bedeutet einen Wechsel von den klassischen Schulfächern hin zu den sogenannten Handlungskompetenzen. Jede Handlungskompetenz geht von einer Beispielsituation in der Praxis aus. Dadurch kann sich die Lernende besser in eine konkrete Arbeitssituation hineinversetzen. Das ist effizienter, als auf abstrakter Ebene Chemie, Physik usw. zu lernen. Damit wollen wir auf die Lerngewohnheiten der neuen Generation eingehen. Junge Leute sind die Handlungskompetenzen schon aus der Volksschule gewohnt. Es ergibt also Sinn, auch die Lehre so zu strukturieren.
Wie muss man sich eine solche Beispielsituation vorstellen, auf der die ganze Handlungskompetenz aufbaut?
Die Beispielsituation enthält verschiedene Aspekte der Handlungskompetenz. Nehmen wir an, es geht darum, einen Patienten in der Praxis zu empfangen. Da stellen sich verschiedene Fragen: Wie begrüsst die DA ihn? Welche Dokumente muss der Patient allenfalls ausfüllen? Wie geht man mit ihm um? Auch die Assistenz im Behandlungszimmer kann von so einem Beispiel ausgehen. Wenn es heisst, Herr Müller kommt für eine Füllung an einem oberen Molar vorbei, dann muss die DA wissen, wie der Arbeitsplatz vorbereitet wird, damit der Zahnarzt oder die Zahnärztin die Füllung legen kann, welche Instrumente man benötigt, wie sie assistieren muss usw.
Kritische Stimmen sagen, dass bei dieser Lehrmethode die theoretische Grundlage zu wenig vertieft behandelt wird. Sehen Sie diese Gefahr auch, oder halten Sie sie für unbegründet?
Das hängt von der Lehrkraft ab. Diese muss sich zuerst selbst mit der neuen Lehrmethode vertraut machen. Wenn die Lehrperson im «Fächerdenken» verbleibt, wird es schwierig. Wenn man sich hingegen darauf vorbereitet, hilft das neue System den Lehrkräften. Denn in der Praxis und in den Überbetrieblichen Kursen (ÜK) wird sowieso praxisnah gearbeitet. Der Berufsschulunterricht rückt damit näher an die anderen Lernorte.
Ein grosser Teil der SDJ-Leser sind Praxisinhaber. Welche Auswirkungen hat der neue Bildungsplan auf die Praxis und den Arbeitgeber?
Für die Praxis hat die Umstellung auf Handlungskompetenzen keine einschneidenden Auswirkungen. Aber die Lernende wird nicht mehr fächerspezifisch um Hilfe fragen, sondern mit praktischen Hausaufgaben kommen. Ein Vorteil für den Arbeitgeber wird die Lernortkoordinationstabelle darstellen. Darauf ist ersichtlich, welche Handlungskompetenz wann in Schule, ÜK und Praxis vermittelt wird. So ist eine Abstimmung der drei Lernorte viel einfacher umsetzbar. Für die einzelnen Lernorte gibt es zudem die sogenannten Umsetzungsdokumente. Sie sind ein zusätzliches Hilfsmittel, damit die einzelnen Lernorte wissen, was sie wann und wie unterrichten müssen.
Sind diese Umsetzungsdokumente etwas Neues?
Nein. Neu ist einzig, dass wir die Umsetzungsdokumente diesmal hoffentlich rechtzeitig vorlegen können. Auch die Bildungsverordnung als Grundlage des Bildungsplans ist nichts Neues. Sie definiert die groben Inhalte und gibt die Struktur vor. Sie definiert beispielsweise, wie lange die Ausbildung dauert, wie viele Stunden eine Handlungskompetenz umfasst und wie die Qualifikationsverfahren (QV) organisiert werden.
Was ist bei der Lerndokumentation zu beachten?
Die Lerndokumentation ist ein Hilfsmittel für die Lernende in der Praxis, um eigene Arbeitsbeispiele aus der Praxis und dem ÜK festzuhalten. Sie darf am QV in der praktischen Prüfung verwendet werden. Ist es also auch im Interesse des Arbeitgebers, darauf zu achten, dass die Lerndokumentation regelmässig nachgeführt wird? Am wichtigsten sollte es für die Lernende selbst sein. Je besser sie die Lerndoku führt, desto mehr nützt sie ihr am QV. Auch für später, wenn eine DA selbst einmal Lernende ausbildet, kann die Lerndoku hilfreich sein. Es ist ein Papier, das die Lernenden selbst erarbeiten, das aber von der Praxis überprüft werden sollte.
Die SSO produziert, wie bisher, die Lehrmittel, die SSO-Skripte. Welche Änderungen gibt es dort?
Die SSO-Skripte werden ebenfalls nach konkreten Beispielsituationen bzw. Handlungskompetenzen strukturiert. Kein Lehrmittel kann daher näher am neuen Bildungsplan sein als die neuen SSO-Skripte. Kleine Autorengruppen schreiben alle 13 Skripte gleichzeitig und nach demselben didaktischen Konzept. Einige auf Deutsch, einige auf Französisch – also ein sehr helvetisches Produkt! Die SSO verkauft die Skripte in allen drei Amtssprachen an die Berufsschulen. Diese Vereinheitlichung der DA-Lehrmittel in derür die Lernenden wird die Vorbereitung auf das QV mit diesen SSOSkripten einfacher. Sie sind nämlich genau so aufgebaut, wie dann geprüft wird. Auch hier stelle ich mir einen Quantensprung in der Qualität der Ausbildung vor. Es bleibt aber die Problematik, ob die heutigen Lernenden überhaupt das nötige Niveau mitbringen. Leider ist bei den Berufsberatungen noch nicht angekommen, dass der Beruf der DA anforderungsreich ist.
Wieso hat man die OPT-Kurse nicht in die Totalrevision integriert?
Wir haben das diskutiert; allerdings kam die Problematik zu spät auf, als dass man die OPT-Kurse noch in diese Totalrevision hätte integrieren können. Möglicherweise wird das dann in die nächste Teilrevision einfliessen. Es fragt sich aber, was die berufliche Grundbildung enthalten soll. Wir bewegen uns schon an der oberen Grenze des intellektuellen Fassungsvermögens der Lernenden. Und diese Kurse braucht nicht jede DA.
Wie implementiert man nun die neue Struktur?
Damit alle Betroffenen gut auf die Totalrevision vorbereitet sind, organisiert die SSO von März bis Mai in allen Regionen Informationsveranstaltungen für die drei Lernorte. Falls nötig, können wir danach zusätzlich gezielte Schulungen durchführen. Es gibt für den Schullehrplan bereits eigene Arbeitsgruppen. Diese planen schulinterne Kurse für die Lehrkräfte.
Nächsten Sommer wird der erste Jahrgang nach dem neuen Bildungsplan in die Ausbildung starten. Wird das nicht etwas knapp?
Wir haben noch Lehrkräfte, die nicht Profis sind und eher nebenberuflich unterrichten. Für diese wird es sicher schwieriger als für einen Berufsschullehrer, der schon lange in diesem Metier ist. Letzterer ist wahrscheinlich auch mit dem handlungskompetenzorientierten Ansatz besser vertraut. Die alteingesessenen Lehrkräfte, oft Zahnärzte, könnten sich schwertun mit dem neuen Ausbildungsmodell. Es ist auch nicht auszuschliessen, dass wir dadurch einige Lehrkräfte verlieren. Das ist ein Risiko, das wir bewusst eingehen. Denn das handlungskompetenzorientierte Lehren liegt definitiv im Trend. Damit sind wir pädagogisch auf dem neusten Stand. Klar, man weiss nie: Nach der Revision ist vor der Revision.
Das ist nun die zweite Totalrevision, die Sie mitmachen. Werden Sie noch eine weitere durchführen?
Nein, an der Delegiertenversammlung im kommenden Mai werde ich nicht mehr für den Zentralvorstand kandidieren und damit das Departement Praxisteam an meinen Nachfolger übergeben. Sie blicken auf eine lange Karriere bei der SSO zurück. Diese gipfelte im Zentralvorstand, von dem Sie nun einige Jahre Teil waren.
Werden Sie sich nach Ihrem Weggang aus dem Zentralvorstand ganz aus der SSO zurückziehen?
Wahrscheinlich schon. Wenn nicht irgendwo meine Hilfe benötigt wird, gedenke ich nicht weiterzumachen. Per Ende 2019 habe ich meine Berufsausübungsbewilligung abgegeben, weil man ab 70 Jahren regelmässig zu einer ärztlichen Untersuchung muss, um die Bewilligung zu verlängern. Ausserdem muss man entsprechende Fortbildungen vorweisen. Das möchte ich mir nicht antun.
Dann gehen Sie also in den SSO-Ruhestand?
Ja, das kann man so sagen. Im Praxis-Ruhestand bin ich ja schon. Jetzt folgt der standespolitische Ruhestand.
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie mehr Zeit haben?
Ich musste bisher eigentlich auf nichts verzichten, trotz meiner standespolitischen Tätigkeit. Ich werde sicher nicht untätig sein. Aber gross Gedanken habe ich mir dazu noch nicht gemacht. Auch als ich vor fünf Jahren in den Praxis-Ruhestand ging, tat ich das nicht. Damals kam wie aus heiterem Himmel die Aufgabe im SSO-Zentralvorstand. Ich könnte mir vorstellen, dass sich wieder von selbst etwas ergibt oder dass ich dann mehr Zeit für meine Enkelinnen habe. Auch eine längere Reise mit dem Camper könnte ich mir vorstellen. Sorgen mache ich mir keine; es wird sicher irgendetwas Spannendes auf mich zukommen. Übrigens mache ich mir keine Illusionen: Ich weiss, wie schnell man ersetzt wird. Nach einem Jahr kennt mich niemand mehr. Man hat seine Zeit, in der man seine Spuren hinterlassen kann. Und wenn man die Ämter verlässt, geht es auch ohne einen weiter. Ich hoffe einfach, dass es mir gesundheitlich weiterhin so gut gehen wird wie bisher.
Was nehmen Sie aus Ihrer ZV-Tätigkeit mit? Was möchten Sie Ihren Nachfolgern mit auf den Weg geben?
Vor allem den jungen Zahnärztinnen und Zahnärzten möchte ich ans Herz legen: Engagiert euch in irgendeiner Form! Es gibt einem so viel zurück; ich habe viele motivierte Leute kennengelernt und Erfahrung in der Führung von Arbeitsgruppen gesammelt. Der ZV wurde sogar zu einem Freundeskreis. Das Engagement erweitert den Horizont: Man tritt aus dem Praxisalltag heraus und öffnet sein Blickfeld für andere Problematiken.
Marcel Cuendet, wir wünschen Ihnen alles Gute für die kommenden Jahre!