Spanien ist Fussballweltmeister! Millionen von Zuschauerinnen und Zuschauern jubelten im August mit der spanischen Frauen-Nationalmannschaft über den Weltmeistertitel in Neuseeland. Die Meisterschaften gelten als die erfolgreichsten in der Geschichte des Frauenfussballs und erreichten weltweit nie dagewesene Einschaltquoten und Zuschauerzahlen. Schätzungen gehen davon aus, dass mehr als zwei Milliarden Menschen eine Übertragung der Spiele gesehen haben. Das sind fast doppelt so viele wie bei der WM 2019.

Frauenberufe und Männerberufe als selbsterfüllende Prophezeiung

Diese erfolgreiche Entwicklung hat dem Frauenfussball weltweit grossen Auftrieb verliehen. In vielen Ländern begeistern sich immer mehr junge Mädchen für den Sport. Clubs werden gegründet, Strukturen professionalisiert, Nachwuchsförderung vorangetrieben. Die Männerdomäne Fussball wird in diesem Sinne gerade rasant «feminisiert». Bisher ohne negative Auswirkungen auf die angestammten Player: der Männerfussball erfreut sich ungebrochener Beliebtheit, und die Transfersummen für Spieler bewegen sich in immer schwindelerregenderen Höhen.

Bisher ging man allgemein davon aus, dass eine geschlechterspezifische Berufswahl auf Stereotypen, veralteten Berufsvorstellungen und genderspezifischen Interessen beruht. Frauen würden eher «helfende» Berufe wählen, Männer seien eher technisch orientiert, so die landläufige Meinung. Dabei bewegte sich die Argumentation oftmals im Kreis: Weil Jungen und Mädchen genderspezifisch sozialisiert würden, würden sie entsprechend unterschiedliche Interessen entwickeln und als Jugendliche damit einhergehende Berufe wählen. Auch ist es im jugendlichen Alter nicht ganz einfach, sich für einen typischen Beruf des anderen Geschlechts zu entscheiden. Frauenberuf, Männerberuf wurde somit oft zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung.

Stereotypen abbauen

Es gibt jedoch auch Berufe, in denen sich wie im eingangs erwähnten aktuellen Beispiel des Frauenfussballs die Genderorientierung ändert. Apothekerin oder Lehrerin sind zwei bekannte Beispiele. Während diese Berufe noch vor einigen Jahrzehnten fast nur von Männern ergriffen wurden, werden sie mittlerweile fast ausschliesslich von Frauen ausgeübt – obwohl sich am Beruf als solchem wenig geändert hat. Woran kann das liegen? Zum einen bemühen sich die Berufsverbände, die genderspezifischen Barrieren abzubauen und das Interesse am Beruf auch beim anderen Geschlecht zu wecken. So werden seit einigen Jahren Mädchen spezifisch in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) gefördert, in denen sie traditionell untervertreten waren. Und Initiativen wie der Nationale Zukunftstag, bei dem Kinder ihre Eltern am Arbeitsplatz besuchen, haben zum Ziel, bei der Berufswahl Interessen und Talente unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit in den Vordergrund zu stellen und Vorurteile abzubauen.

Geschlechterspezifische Berufsmigration

Eine Studie der Universität Zürich vom Januar 2023 kommt nun zu einem weiteren interessanten Schluss: Männer verlassen selektiv Berufe, die vermehrt von Frauen ergriffen werden. Das Team um Soziologieprofessor Per Block hat die Hypothese bestätigt, dass Männer mit geringerer Wahrscheinlichkeit in Berufen bleiben, in die mehr Frauen wechseln. Dazu nutzten sie eine Netzwerkanalyse auf Basis von Daten zum Arbeitsmarkt von Grossbritannien. Der Arbeitsmarkt wird dabei als ein Netzwerk verstanden, in dem Arbeitnehmende mit ihren Berufswechseln verschiedene Berufe verbinden. Dadurch kann analysiert werden, ob Männer selektiv Berufe verlassen, die sich feminisieren.

Die Studie vergleicht u. a. zwei fiktive Berufe, die sich nur in ihrer geschlechtsspezifischen Zusammensetzung unterscheiden. Im einen Beruf arbeiten 25 Prozent Frauen, im anderen 75 Prozent. Die Analyse zeigt, dass Männer mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit den Beruf mit 75 Prozent Frauenanteil verlassen.

Einfluss auf Lohnniveau

Die Studie der Universität Zürich liefert damit einen Hinweis, dass die genderspezifische Wahrnehmung von Berufen möglicherweise nicht die Ursache, sondern die Konsequenz der Geschlechterzusammensetzung darstellt. Spannend wird es, wenn man über mögliche Folgen in der Lohnentwicklung nachdenkt. Wenn die Geschlechterzusammensetzung einen Beruf vom Männer- zum Frauenberuf machte, kam es in der Vergangenheit meistens zu einem Statusverlust des Berufs und oft auch zu niedrigeren Löhnen. Bekannte Beispiele sind Kellner, Coiffeur, Apotheker, Verkäufer oder Grundschullehrer. Sobald in einem Beruf mehr als 60 Prozent Frauen arbeiten, kommt es zu Lohneinbussen – das zeigte 2015 eine sozialwissenschaftliche Studie über die Gehälter in einem weiblicher werdenden Beruf in Deutschland, Grossbritannien und der Schweiz. Es gibt Hinweise darauf, dass vor allem der Lohn der Frauen betroffen ist; somit drückt ein steigender Frauenanteil den Durchschnittslohn.

Ist Zahnmedizin ein Frauenberuf?

Heute studieren mehr Frauen als Männer Zahnmedizin an der Universität. Es ist eine Frage der Zeit, bis der Beruf Zahnärztin genderspezifischen Berufen wie z. B. der Kinderbetreuung ist in den letzten Jahren eine gewisse Abnahme der genderspezifischen Berufswahl festzustellen. Inwiefern der Erfolg des Frauenfussballs zu einer Abwanderung der Männer aus diesem Sport und einer Angleichung des Lohnniveaus führen wird, sei – augenzwinkernd – dahingestellt.

 

Quellen:

www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0378873322001046

www.news.uzh.ch/de/articles/media/2023/Arbeitsmarkt.html

serval.unil.ch/resource/serval:BIB_394986C05943.P001/REF