Ein Koch legt im Bewerbungsgespräch freiwillig seine HIV-Infektion offen und wird deshalb nicht angestellt. Der Arbeitgeber befürchtet, dass die Gäste wegbleiben könnten.
Ein HIV-infizierter Mann wird von der kollektiven Krankentaggeldversicherung seines neuen Arbeitgebers ausgeschlossen.
Eine Schülein vertraut ihrer Lehrerin an, dass ihre Mutter HIV-positiv ist. Daraufhin informiert die Lehrerin ohne Zustimmung der Schülerin die ganze Klasse über die HIV-Infektion der Mutter der Mitschülerin.
Die Beispiele stammen aus einem aktuellen Bericht der Aids-Hilfe Schweiz. Diese sammelt und publiziert Diskriminierungsmeldungen gegen HIV-positive Menschen im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit. Im Jahr 2020 wurden der Beratungsstelle 93 Fälle gemeldet. Am meisten Diskriminierungen wurden im Gesundheitswesen gezählt. Zum Beispiel der Fall einer Augenärztin, die einer HIV-positiven Frau die Hand nicht geben wollte und während der ganzen Behandlung grossen Abstand hielt. Oder ein Mann, der von seinem Zahnarzt nur Termine zu Randzeiten erhielt.
Die meisten Infizierten sind gut therapiert
Fachleute gehen davon aus, dass in der Schweiz rund 16 700 Personen HIV-positiv sind (Statistik 2019). 93 Prozent davon (15 500 Personen) wissen von ihrer Ansteckung und können ihr Verhalten anpassen. Die allermeisten dieser diagnostizierten Personen, nämlich 14 400, sind so gut therapiert, dass sie eine Viruslast unterhalb der Nachweisbarkeitsgrenze aufweisen. Das heisst, sie sind nicht mehr ansteckend. Die Zahl der Neuansteckungen ist aktuell auf dem tiefsten Stand, seit die Epidemie in den 1980er-Jahren in der Schweiz ausgebrochen ist.
Enorm einschneidend und belastend
Angesichts dieser Zahlen seien Diskriminierungen nicht nur verletzend, sondern auch unnötig, sagt Nathan Schocher von der Aids-Hilfe Schweiz. «Erzählt ein HIV-Infizierter bei einem Arztbesuch von seiner Diagnose, ist er mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit gut therapiert. Es ist deshalb sicher nicht nötig, dass ein Arzt oder Zahnarzt die HIV-Diagnose dem ganzen Praxisteam mitteilt. Der Patient braucht keine Sonderbehandlung.»
Diskriminierungen im Gesundheitsbereich werden von den Betroffenen als enorm einschneidend und belastend empfunden, so die Experten von Aids-Hilfe Schweiz. Denn zu Gesundheitsfachpersonen steht man in einem besonderen Vertrauensverhältnis. Zudem erwartet man gerade von dieser Personengruppe, dass sie medizinisch aufgeklärt sind und die Risiken kennen.
Gewissenhafte Umsetzung der Praxishygiene genügt
«Werden die bestehenden Qualitätsleitlinien zur Praxishygiene gewissenhaft angewendet, ist der Schutz von Patienten, Praxisteam und Zahnarzt gewährleistet», sagt Christoph Senn, SSO-Vizepräsident und Vorsteher des Departements Gesundheitspolitik im SSO-Zentralvorstand. «Eine Übertragung des HI-Virus in der Zahnarztpraxis ist nur bei einem Arbeitsunfall möglich», bekräftigt auch Nathan Schocher. Dazu müsste Blut eines HIV-infizierten Patienten zum Beispiel über eine Nadel oder ein kontaminiertes Instrument in eine offene Wunde des Behandlers gelangen. «Bei Kontakt mit einer intakten Haustelle besteht kaum ein Risiko», betont Schocher.
Was ist zu tun, wenn trotz Hygienemassnahmen ein Unfall passiert und ein Mitglied des Praxisteams sich über eine mögliche Ansteckung sorgt? Nathan Schocher rät, sich in einer ärztlichen Notfallpraxis oder -station zu melden. Dort wird man das Risiko abklären und falls nötig die Postexpositionsprophylaxe (PEP) einleiten, die den Ausbruch verhindern kann. Entscheidend sei auch, wie hoch die Virenlast im Blut des Infizierten ist, fährt Schocher fort. «Kurz nach der Ansteckung ist die Zahl der Viren am höchsten, später sinkt sie deutlich ab. Eine Ansteckung ist dann nicht zwingend.»
Vorsicht beim Datenschutz
Die Mehrheit der gemeldeten Diskriminierungsfälle seien Datenschutzverletzungen, präzisiert Nathan Schocher. «Viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass eine HIV-Infektion eine sehr private Information ist. Diese darf man ohne Einverständnis des Betroffenen niemandem weitergeben, wenn es medizinisch nicht nötig ist. Weder innerhalb des Praxisteams noch an andere Behandler.»
Was müssen Gesundheitsfachleute beim Datenschutz beachten? Die Information über eine HIV-Infektion darf ohne medizinische Notwendigkeit nicht weitergegeben werden. Wenn ein Anamneseformular nach einer HIV-Infektion fragt, muss der Arzt sicherstellen, dass Patienten dieses Formular nicht im Empfangsbereich ausfüllen, wo sich andere Personen aufhalten. Auch muss das Formular so aufbewahrt werden, dass die Mitglieder des Praxisteams keine Einsicht erhalten. Nathan Schocher sagt dazu: «Wir sind der Meinung, dass die Frage nach einer HIV-Infektion in der Anamnese gar nicht gestellt werden muss. Es gibt nur sehr wenige Situationen, in denen diese Information relevant ist, etwa wenn es zu Wechselwirkungen von Medikamenten kommen könnte. Um dies zu verhindern, genügt aber die Frage nach regelmässig eingenommenen Medikamenten.» Vor einer Dentalhygienesitzung sei die Frage eindeutig unnötig.
Die SSO unterstützt diese Haltung. «Statt explizit nach einer HIV-Infektion kann das Anamneseformular zum Beispiel allgemein fragen, ob der Patient eine Infektionskrankheit hat. Wird dies bejaht, kann der Zahnarzt falls nötig im Gespräch unter vier Augen nachfragen, worum es sich handelt», ergänzt Christoph Senn.