Examen erfolgreich absolviert, Weiterbildungen gemacht, viel gelernt an der Uni – und irgendwann merkt man, dass man lieber in einer Praxis arbeiten möchte. Man findet eine Stelle bei einem netten Chef oder einer netten Chefin. Aber was ist, wenn man sein eigener Herr sein möchte? Selber bestimmen, wie man die Praxis führt und welche Schwerpunkte man setzt? Wir wollten wissen, wie es einer Zahnmedizinerin ergangen ist, die ihre eigene Praxis eröffnet hat. Unsere Journalistin suchte im Internet nach einer Zahnärztin, die sie dazu befragen könnte. Als sie die Website von Dr. Helen Mang Buckman anklickt, ist sie sofort begeistert: ein klares Design, leicht zu findende Informationen zu Behandlungen, Öffnungszeiten oder Schwerpunkten, eine Zahnärztin, die sympathisch und vertrauenerweckend in die Kamera lächelt.
Der Bauch sagte: «Genug vom Uni-Leben»
Wenn Helen Mang Buckman ihre Geschichte erzählt, hat man den Eindruck, ihre Karriere sei mehr oder weniger Zufall und habe sich von selbst entwickelt. «Ich lebe aus dem Moment heraus und vertraue meinem Bauchgefühl», sagt sie, «konkretes langfristiges Planen engt meinen Blickwinkel manchmal ein.» So hatte Mang Buckman nie vorgehabt, eine eigene Praxis zu eröffnen. «Nach dem Staatsexamen an der Universität Zürich habe ich mir nicht gross Gedanken gemacht, welche Karriere ich einschlagen will», erzählt sie. «Mein Bauch sagte mir nur: Ich hatte erst einmal genug vom Uni-Leben, wollte das Gelernte endlich umsetzen und als Zahnärztin praktisch arbeiten.» Sie bewarb sich blind bei mehreren Zahnärzten, bis sie eine Stellenanzeige sah: Ein Zahnarzt in Pfäffikon suchte einen Assistenten. Sein breites, modernes Behandlungsspektrum gefiel Mang Buckman. «Ich bekam die Stelle sofort», erinnert sie sich. «Ich konnte so viel machen und lernen, das war klasse.» Nach wenigen Monaten lobte ihr Chef: «Sie arbeiten in meiner Praxis so, als wäre es ihre eigene – durchorganisiert, kompetent, und die Patienten sind begeistert!» Doch Mang Buckman empfand das nicht so. «Ich wäre damals nie auf die Idee gekommen, mich selbstständig zu machen», sagt sie. «Vielleicht hatte ich die ganzen Jahre Angst vor meinem eigenen Mut.»
Nach einem Jahr in Pfäffikon meldete sich wieder ihr Bauch. «Ich wusste, ich muss meinen Wissensdurst weiter stillen. Mein Chef hat mir zwar viel beigebracht, aber ich kam nicht mehr weiter.» Er riet ihr, wieder an die Uni zu gehen, und sie bewarb sich in der Oralchirurgie in Bern. «Ich hätte die Stelle bekommen. Sie war für drei Jahre ausgelegt. In den ersten zwei Jahren hätte viel Lehrtätigkeit dazugehört, und ich wäre kaum zum Operieren gekommen – das dauerte mir zu lange.» So blieb sie vorerst in Pfäffikon. «Doch der Bauch grummelte weiter», erinnert sie sich schmunzelnd – «ich brauchte neuen Input.»
Die Freundin weiss, welche Karriere für sie gut ist
Sie nahm zwei Monate unbezahlten Urlaub, um mit einem Verein zur Unterstützung der zahnmedizinischen Versorgung in armen Ländern oder in Ländern der sogenannten Dritten Welt humanitäre Hilfe in Togo zu leisten. Und wieder kam es zu einem dieser glücklichen Zufälle, die Mang Buckmans Karriere wie ein roter Faden durchziehen. Bevor sie nach Togo abreiste, berichtete eine Freundin von einer Stelle in einer Praxisgemeinschaft zweier Zahnärzte in Schaffhausen. «Sie war so überzeugt, das sei das Richtige für mich, dass ich darauf einging.» Ihre Freundin scheint sie gut zu kennen: Bereits nach fünf Minuten in der Praxis wusste die Zahnärztin: «Das war das, wonach ich seit einem halben Jahr gesucht hatte.» Sie wurde von den beiden Zahnärzten wie eine Kollegin «auf Augenhöhe» empfangen, die Praxis war organisiert und strukturiert, kein Patient schien lange zu warten. Die Praxis war auf dem neuesten Stand der Technik, ISO-zertifiziert und das Team freundlich und offen. «Mein Bauchgefühl stimmte sofort.» Mit vollem Engagement stürzte sie sich in die Arbeit. Zeitgleich startete sie einen Nachdiplomstudiengang in medizinischer Ethik an der Philosophischen Fakultät der Uni Zürich und übernahm eine Lehrtätigkeit an der Berufsschule der Dentalassistentinnen. 2013 wurde sie Juniorpartnerin in der Gemeinschaftspraxis in Schaffhausen. Doch der Gedanke an Selbstständigkeit kam ihr auch jetzt noch nicht. Inzwischen hatte sie geheiratet und zwei Kinder bekommen, doch organisiert, wie sie ist, brachte sie alles unter einen Hut.
Klare Absprachen mit dem Mann
Helen Mang Buckman arbeitete nach der Geburt ihrer Tochter 80 Prozent, nach der Geburt des Sohnes reduzierte sie auf 60 Prozent. Die Grosseltern kümmerten sich einen Tag um die Kinder, zwei Tage waren sie in der Krippe. Klare Organisation und Absprache mit ihrem Mann machten auch das lange Pendeln vom Wohnort zur Arbeit möglich. So stand sie zu Beginn jeweils um fünf Uhr auf, um von ihrem Wohnort in die Praxis zu fahren, organisierte die Betreuung der Kinder und regelte gemeinsam mit ihrem Mann noch den Haushalt. «Als Belastung empfand ich das nicht», sagt sie. «Man muss sich einfach gut organisieren, dann klappt das auch.»
«Wir ahnten, dass du irgendwann gehen würdest»
Doch Mang Buckman wäre nicht sie selbst, wenn sich ihr Bauch nicht wieder gemeldet hätte. «Die Kinder wurden grösser, meine Energie auch. Ich wollte mich wieder mehr engagieren.» Sollte sie doch an die Uni gehen? Oder eine spezielle Weiterbildung machen? Eine Kollegin und Freundin fragte, ob sie es sich vorstellen könnte, zu zweit eine Praxis zu gründen. «Ich wollte aber nicht weg aus Schaffhausen. Vielleicht traute ich mir auch den Schritt nicht zu.» Doch langsam reifte in ihr die Idee. Wieder lenkte der Zufall ihren Weg in die richtige Richtung. Über eine Bekannte erfuhr sie, dass deren Zahnarzt aufhören wolle – ausgerechnet in Herrliberg, einen Katzensprung von ihrem Zuhause entfernt. Mang Buckman schaute sich die Praxis an und wusste sofort, dass sie hier gerne arbeiten möchte. Doch für zwei Zahnärzte war die Praxis zu klein. «Als mein Vorgänger mich fragte, warum ich die Praxis nicht alleine führen möchte, blieb die Zeit einen Moment lang stehen», erzählt sie. «Ich habe gezögert, aber dann wusste ich: Ja, genau, ich mache meine eigene Praxis auf!» Mit offenen Worten sagte sie ihrer Freundin ab, fuhr nach Schaffhausen, kündigte und sagte ihren Kollegen: «Jungs, ich habe jetzt einen anderen Plan.» Die reagierten jedoch gelassen. «Helen, wir ahnten, dass etwas in dir schlummert und du irgendwann gehen würdest.» Angst hätte sie dann gehabt, wie sie ein Team führen sollte und wie die Abrechnung am besten funktionieren würde. Doch das lies sich schnell lösen: Bei einer Bekannten machte sie ein Führungscoaching, für die Abrechnung nutzt sie die gleiche Software wie in Schaffhausen. Im Mai 2015 kamen die ersten Patienten. Jetzt hat sie ein Team von zwei Dentalassistentinnen, einer Prophylaxeassistentin und einer Dentalhygienikerin und ab Sommer eine Lehrtochter. Sie arbeitet 70 Prozent. «Auch wenn die eigene Praxis viel Aufwand und Organisation bedeutet – unter dem Strich habe ich das Gefühl, dass ich jetzt mehr mit den Kindern zusammen bin.»
Wenn sich ihr Bauch wieder meldet, hat sie schon einige Ideen. «Immer mehr Menschen werden älter, und die Leute haben natürlich auch Zahnprobleme. Doch viele sind nicht richtig versorgt, etwa weil sie alleine nicht mehr gut klarkommen oder dement sind.» So möchte sie im Bereich Alterszahnmedizin neue Konzepte entwerfen: «Ich glaube, die Ideen werden mir nicht ausgehen.» Neuen Input holt sie sich an Kongressen und Fortbildungen, die Zeit hierfür baut sie in ihren Jahresplan ein. «Ich bin zufrieden in meiner Praxis. Ich kann nur jedem raten: Mut haben – und auf das Bauchgefühl hören.»