Bei einem Zahnunfall entstehen kurz- und langfristige biologische, strukturelle und kosmetische Schäden. Deren Behandlung ist eine Herausforderung, die sich über Jahre hinzieht und teilweise mit sehr hohen Kosten verbunden ist.

Die Realität im Alltag

Passanten reagieren in der Regel sehr unterschiedlich auf einen Zahnunfall mit Zahnavulsion. Trotz den von verschiedenen Akteuren regelmässig durchgeführten Informationskampagnen (insbesondere durch die Informationskommission der SSO) erfolgt die Replantation eines Zahnes häufig unter ungünstigen Bedingungen. Zu den Misserfolgsfaktoren zählen die Zeitdauer zwischen dem Ereignis und der Replantation, die nicht sachgemässe Lagerung des avulsierten Zahnes und nicht adäquate Reinigungsversuche. In der Bevölkerung ist für solche Fälle keine allgemeine Vorgehensweise bekannt. Zudem fehlt in der Regel das geeignete Material in der Nähe der Gefahrenorte. Wie in anderen medizinischen Notfallsituationen sind die ersten Minuten und eine klare, effiziente Vorgehensweise entscheidende Faktoren für den therapeutischen Erfolg.

Statistiken

Wir, die SSO Ticino, hatten bei der Erhebung von statistischen Daten über die Häufigkeit und die Kosten von Zahnunfällen im Allgemeinen und solche mit Zahnavulsion im Besonderen grosse Schwierigkeiten. Dies auch, weil wir nicht über die Berechtigung verfügten, um auf solche vertraulichen Daten zuzugreifen. Wir schlagen daher vor, dass in nächster Zukunft ein universitäres Institut, beispielsweise im Rahmen einer Master- oder Doktorarbeit, offizielle Daten zu diesem Thema sammelt. Die anderweitig zusammengetragenen Informationen ergeben folgendes Bild: Im Kanton Tessin hat eine grosse Versicherung im Jahr 2014 insgesamt 976 Zahnunfallmeldungen in der Altersklasse von 15 bis 20 Jahren erhalten, mit durchschnittlichen Kosten von 622 Franken pro Fall, also insgesamt 607000 Franken. Eine andere grosse Versicherung zählte für die gesamte Schweiz 18000 Zahnunfallmeldungen, davon 2200 Luxationen, bei Gesamtkosten von über 52 Millionen Franken. Diese fragmentarischen Zahlen zeigen, dass eine Aktion wie SOS-DENTI absolut angebracht ist.

Die Entstehung des Projektes

Das Projekt SOS-DENTI wurde anlässlich der Delegiertenversammlung der SSO-Sektion Tessin im Januar 2019 vorgestellt. SOS-DENTI reiht sich in eine Reihe allgemeiner Überlegungen zu bestehenden Mängeln und möglichen Verbesserungen im Bereich der Prävention ein. Das «Projekt 15/18» genannte Vorhaben zielt darauf ab, den Schutz der Jugendlichen während einer besonders vulnerablen Phase zu stärken. Es beinhaltet drei Schwerpunkte: Die Verlängerung des schulzahnmedizinischen Angebots bis zum Alter von 18 Jahren, die Förderung des Tragens einer Schutzschiene bei Risikosportarten und der erleichterte Zugang zu Rettungsmitteln bei einer unfallbedingten Zahnavulsion. Dieser dritte Schwerpunkt ist nun umgesetzt worden, während die beiden anderen sich noch in der Entwicklungsphase befinden. Seither haben wir einen langen Weg zurückgelegt. Zuerst hat die Pandemie unsere Initiative gebremst. Dann war es schwierig, einen Sponsor unter den potenziellen Interessenten zu finden. Die Versicherer, die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) und die Suva haben eine finanzielle Unterstützung dieser Präventionsaktion abgelehnt.

In einer ersten Phase haben wir ein Basiskonzept entwickelt, in dem das Zielpublikum, das notwendige Material und dessen Verteilung definiert wurden. Auf dieser Grundlage haben wir ein Budget für die Sponsoren erstellt und uns auf die Suche nach einer Finanzierung gemacht. F-Color und die Informationskommission der SSO für die italienische Schweiz (CISI) wurden mit der grafischen Umsetzung beauftragt.

Erstklassige Partner

Unsere Hartnäckigkeit hat sich am Ende ausgezahlt. Wir haben zuverlässige und renommierte Partner gefunden. Einerseits die Stiftung Ticino Cuore, die unsere Argumente verstanden hat. Sie verwaltet über 450 öffentliche und 1500 private Defibrillatoren im Kanton Tessin. Wir haben Gemeinsamkeiten identifiziert, sowohl bei der Herangehensweise als auch bei der Lösung des Problems. Die Bedeutung der «Golden Hour», die Bereitstellung des notwendigen Materials, die Reaktionskette im Ereignisfall, die flächendeckende Präsenz und die Verbreitung der Information in der Bevölkerung sind Themen, die die Stiftung seit vielen Jahren auf höchstem Niveau vorantreibt. Wir haben daher die Möglichkeit gehabt, unser Kit «Salvadenti» in jedem öffentlichen Defibrillatorschrank zu installieren. So haben wir unverhofft eine flächendeckende Präsenz im Kanton erreicht, auch weil wir vom Umstand profitieren konnten, dass die Stiftung ihre Geräte gezielt nach Risikokriterien installiert hat: Orte mit hohem Personenaufkommen, Sport- und Freizeitanlagen, Zentren aller Ortschaften. So konnten wir auch den Kreis des anvisierten Zielpublikums deutlich erweitern.

Andererseits hat das Gesundheits- und Sozialdepartement des Kantons Tessin unser Anliegen sehr wohlwollend aufgenommen und uns eine sehr konkrete Unterstützung angeboten. Dank diesem behördlichen Rückhalt haben wir eine wichtige finanzielle Unterstützung von Swisslos erhalten, was uns die Lancierung des Projektes ermöglicht hat. Die Umsetzung Wir haben verschiedene Akteure mobilisiert. Die Sektion Tessin der SSO hat das grafische Konzept mithilfe der CISI unterstützt. Die CISI hat zudem die Drucksachen finanziert. Die Firma Mytrade hat uns die Zahnrettungsboxen zu einem reduzierten Preis geliefert. Es wurde vereinbart, eine exklusive Serie für unsere Aktion herzustellen, um eine möglichst lange Haltbarkeit zu gewährleisten und die Lagerung beim Grossisten und Detailhändler zu umgehen. Die Installation der Boxen und des Materials in den Schränken durch Zivildienstangehörige wurde von Swisslos finanziert.

Zum Schluss möchten wir unterstreichen, dass wir ohne die Bereitschaft der Stiftung Ticino Cuore und ihre bedingungslose logistische Unterstützung eine so dichte, unsere Erwartungen übertreffende geografische Abdeckung nicht hätten realisieren können. Folgender Ablauf ist ab sofort bei einem Zahnunfall zu befolgen:

  • Den avulsierten Zahn aufheben, ohne dabei die Wurzel zu berühren
  • Das «Salvadenti»-Kit im nächstgelegenen Defibrillatorschrank holen
  • Den Zahn in die Zahnrettungsbox legen
  • Den eigenen Zahnarzt oder den Notfallzahnarzt anrufen

Das Kit

Das Kit besteht aus einem Aufkleber, der auf dem Defibrillatorschrank über das Vorhandensein des Materials informiert. Im Schrank befindet sich ein Umschlag mit einer Gebrauchsanweisung und die SOS-Zahnrettungsbox. Das Unfallopfer wird aufgefordert, so schnell wie möglich einen Zahnarzt aufzusuchen.

Die weitere Entwicklung

Nun warten wir gespannt auf die ersten Ergebnisse und werden zur Optimierung unserer Aktion entsprechende Statistiken erstellen. Es handelt sich um ein Pilotprojekt, das wohl weltweit einzigartig ist! Wir werden in den nächsten Monaten die Reaktion der Öffentlichkeit analysieren. Auch setzen wir stark auf die Hilfe unserer Mitglieder, um das Projekt bei den Patienten bekannt zu machen. Wir sind sehr erfreut, ein Projekt vorstellen zu können, das bereits das Interesse anderer SSO-Sektionen sowie des Zentralvorstandes geweckt hat. Unser Vorhaben könnte in der Schweiz, aber auch international zum Vorzeigeprojekt werden. Wir sind überzeugt, dass weitere ähnliche Initiativen entstehen werden, da die SSO schon immer eine auf Prävention basierende Zahnmedizin unterstützt hat.