Zahnmedizin aktuell

Freie Berufe verlangen weniger Bürokratie

Über die Hälfte der Erwerbstätigen in den freien Berufen wie Zahnärzte, Ärztinnen, Architekten, Physiotherapeutinnen oder Ingenieure leiden unter administrativen Aufgaben, die der Staat ihnen aufdrückt. Jetzt fordert der Schweizerische Verband der freien Berufe einen Bürokratieabbau.

Das Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (BASS) hat fast 100 Firmen gebeten, die administrative Belastung in den freien Berufen zu quantifizieren. Das Ergebnis: Betroffene wenden bis zu einem ganzen Tag pro Arbeitswoche nur für solche Tätigkeiten auf. Durchgeführt wurde die Analyse im Auftrag des Schweizerischen Verbandes der freien Berufe (SVFB).

Die Belastung durch administrative Auflagen nehmen die Betroffenen durchwegs als stark bis sehr stark wahr. Dazu stellen sie auch steigende branchenspezifische administrative Belastungen fest. Diese sind durch behördliche Auflagen und Reglementierungen bedingt.

Inhaltlich stehen unterschiedliche branchenspezifische Belastungen im Vordergrund: Befragte aus dem Bereich Gesundheit und Soziales gaben vor allem den administrativen Verkehr mit Krankenversicherungen (Nachfragen, Rückweisungen von Rechnungen usw.) an. Auch der Aufwand im Zusammenhang mit Gesuchen und Berichten für Kostengutsprachen sei eine wichtige zusätzliche Administrativaufgabe.

Schaden für Wettbewerbsfähigkeit und Volkswirtschaft

Durch Auflagen und Reglementierungen verursachter Aufwand verringert die Zeit, die für die fachliche Arbeit der Berufsleute zur Verfügung steht – im Gesundheitswesen etwa für die Versorgung von Patientinnen und Patienten. Abgesehen von Ineffizienz und sinkender Qualität, verstärken die Auflagen auch den Fachkräftemangel. Viele Firmen im Bereich der freien Berufe sind zudem KMU und als Kleinbetriebe überdurchschnittlich von der Problematik betroffen.

Ständerat Pirmin Bischof, Präsident des SVFB, sagt: «Die freien Berufe fordern weniger Bürokratie, selbst dort, wo die Kosten für diese administrativen Aufgaben an die Kundschaft weiterverrechnet werden können.» Der Bundesrat hat auf Drängen des Parlaments einen Vorschlag aufgelegt, der der zunehmenden Regulierung entgegenwirken soll. Der SVFB unterstützt die Forderungen und somit auch das neue Unternehmensentlastungsgesetz.

Folgewirkungen nicht abgeklärt

Der Präsident der SSO, Dr. Jean-Philippe Haesler, hielt anlässlich des Tags der freien Berufe eine Rede zu diesem Thema (siehe Text weiter unten). Auf dem Podium diskutierten anschliessend fünf National- und Ständeräte. Die Diskussion begann mit einem Paukenschlag. Ruedi Noser, FDP-Ständerat aus dem Kanton Zürich, griff das Beispiel aus Jean-Philippe Haeslers Rede auf und entschuldigte sich öffentlich bei der Zahnärzteschaft. Beim Erarbeiten des Gesetzes habe man die Zahnärzteschaft schlicht vergessen. Ein Beispiel mit Symbolcharakter. Bei vielen regulativen Bestimmungen werden Folgewirkungen nicht abschliessend abgeklärt. Unverhältnismässige Auflagen für Betroffene würden so in Kauf genommen.

Griffige Lösungen gegen die Bürokratie haben auch die Podiumsteilnehmenden keine zur Hand. Michel Matter, GLP-Nationalrat und Augenarzt aus Genf, wünscht sich mehr Vertrauen in der Gesellschaft. Bürokratie entstehe, weil heute unentwegt Rechenschaft über die eigene Arbeit abgelegen werden müsse. Ruedi Noser fordert weniger politische Interventionen, weniger Aktionismus. Es brauche Mut, Veränderungen zuzulassen. Und die Solothurner SP-Nationalrätin Franziska Roth fügt an, dass zusätzliche Auflagen auch politisch gewollt seien, um beispielsweise die Sicherheit zu erhöhen oder die Qualität zu garantieren. Die Uneinigkeit auf dem Podium zeigt sich auch im Parlament. Daran erinnerte Wirtschaftsminister Guy Parmelin in seinem Kurzreferat zum Ende der Veranstaltung. Vorschläge des Bundesrates wurden abgeschwächt oder verworfen und politische Instrumente wie das Verordnungsveto nicht eingeführt. Auf das neu zusammengestellte Parlament wartet viel Arbeit. In der kommenden Legislatur sollen 240 Gesetze verabschiedet werden. Eine ideale Gelegenheit, für Bund und Behörden, aktiv gegen weniger Administration vorzugehen.

 

 

Rede von Jean-Philippe Haesler, Präsident SSO, am Tag der freien Berufe

Sehr geehrter Herr Bundesrat
Sehr geehrte Damen und Herren Ständeräte und Nationalräte
Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrte Damen und Herren

Als Standesorganisation eines freien Berufes legt die SSO – die Schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft – grössten Wert auf Unabhängigkeit und Professionalität. Ihre Mitglieder erlegen sich in Form der Selbstregulierung Regeln auf, die oft strenger sind als jene, die der Gesetzgeber vorschreibt. Durch diese Selbstverpflichtung zeigen die Zahnärzte nicht nur ihren Willen zu Freiheit und Unabhängigkeit, sondern übernehmen auch eine besondere Verantwortung gegenüber ihren Patienten und dem Gesundheitssystem.

In den letzten Jahren haben wir einen massiven Anstieg des Verwaltungsaufwands in unseren Praxen erlebt. Sei es im Bereich der Hygiene, der Arbeitssicherheit, des Qualitätsmanagements, der Ausbildung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, des Datenschutzes und so weiter – die Anforderungen an die Dokumentation werden unerträglich. In unseren Unternehmen häufen sich die Bundesordner mit Protokollen, Checklisten, Vorlagen und Formularen. All diese Verwaltungsauflagen verbrauchen personelle und finanzielle Ressourcen, lenken uns von unserem eigentlichen Beruf ab und entfernen uns von unseren Patienten, da wir als Kleinst- und Kleinunternehmen nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um Personal für diese Verwaltungsaufgaben einzustellen. Man könnte meinen, dass sich die Verwaltung mit dieser Überregulierung, die die Qualität der zahnmedizinischen Versorgung in der Schweiz in keiner Weise verbessert, selbst alimentiert. Mit anderen Worten: Es nützt unseren Patientinnen und Patienten in keiner Weise. Die Neue Zürcher Zeitung veröffentlichte die folgende Aussage des Gesundheitsökonomen Fridolin Marty: «In den letzten 20 Jahren hat unser Parlament 44 neue Versionen des Krankenversicherungsgesetzes verabschiedet und die entsprechenden Verordnungen wurden 179-mal geändert. » Diese Überregulierung führt zu einem weiteren, noch bedenklicheren Effekt: Sie demotiviert die Angehörigen der Gesundheitsberufe, entzieht ihnen die Verantwortung und laugt sie aus.

Erlauben Sie mir ein kleines Beispiel: Ich habe gerade einen Kurs über Arbeitssicherheit besucht, in dem es unter anderem um den Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Chemikalien im Betrieb ging. Es wurden mehrere Produkte, die häufig in einer Zahnarztpraxis verwendet werden, als Beispiel genannt, darunter auch eine 6-ml-Flasche Bonding. Es handelt sich um ein Produkt, das zur Haftung von Zahnfüllungen dient. Ein solches Produkt ist in jeder Zahnarztpraxis anzutreffen und wird täglich mehrmals verwendet, und zwar ein Tropfen für eine Füllung. Wenn ich die Anforderungen an die Arbeitssicherheit erfüllen will, muss ich für diese 6-Milliliter-Flasche ein vollständiges Protokoll für die Lagerung, Handhabung und Verwendung erstellen, genauso wie ein Unternehmen, das Hunderte von Litern davon lagert. Praktisch alle Produkte, die wir in der Zahnmedizin verwenden, angefangen bei Seife und Desinfektionsmitteln, sind als chemische Produkte zu betrachten, und in einer Zahnarztpraxis gibt es sicherlich nicht weniger als hundert davon. Für jedes dieser Produkte müssen wir dieses Protokoll erstellen, eine zeitraubende und unverhältnismässige Arbeit, die auf Kosten der Zeit geht, die wir unseren Patienten widmen sollten. Das ist doch absurd!

Wie in allen medizinischen Berufen müssen auch in der Zahnmedizin die Gesundheit des Patienten und die Qualität der Behandlung im Vordergrund stehen. Wie ich bereits eingangs erwähnt habe, haben sich die Zahnärzte selbst strengere Regeln auferlegt, als sie vom Gesetzgeber vorgesehen sind. So spielte die SSO eine tragende Rolle bei der Erarbeitung von Qualitätsleitlinien für alle Aspekte des Berufsstandes, die regelmässig aktualisiert werden. Mit dieser Selbstregulierung hat die SSO Regeln aufgestellt, die dem Patienten zugutekommen. Als freier Beruf bleiben wir unsere eigenen Qualitätsmanager und unsere eigenen Chefs. Niemand kann besser Qualitätsstandards festlegen als ein Berufsangehöriger. Als ich 1990 mein Studium abschloss, sah ich meine berufliche Zukunft immer als Selbstständiger in einer eigenen Praxis. Heute verstehe ich die wachsende Zahl junger Kolleginnen und Kollegen, die nicht als Selbstständige arbeiten möchten. Ein Aspekt, der sie davon abhält, ist diese Überregulierung und der damit verbundene Verwaltungsaufwand. Diese kompetenten und motivierten jungen Praktiker ziehen es vor, in grossen Zentren und Klinikketten zu praktizieren. Diese werden leider oft von berufsfremden Investoren geleitet, deren Interessen ausschliesslich kommerzieller Natur sind und deren ethisches Bewusstsein allzu oft nicht vorhanden ist.

Wir alle in diesem Raum haben etwas gemeinsam: Wir wollen ein freier Beruf bleiben, der sich, wann immer möglich, seine eigenen Regeln gibt. Ethik, Qualität, Sicherheit, Integrität und das Wohlergehen unserer Kunden – oder Patienten bei medizinischen Berufen – werden immer im Mittelpunkt unseres Handelns stehen. Deshalb wehren wir, die SSO und die Zahnärztinnen und Zahnärzte, uns mit aller Kraft dagegen, dass die Bürokratie unsere ganze Zeit in Anspruch nimmt und so unsere Aufmerksamkeit von unserer Hauptaufgabe ablenkt: unseren Patienten eine qualitativ hochstehende Versorgung zu bieten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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