Vor rund einem halben Jahr richtete das Seniorenzentrum Cadonau in Chur ein Behandlungszimmer für die Dentalhygiene ein. Seither profitieren auch Bewohner mit eingeschränkter Mobilität von Prophylaxe und regelmässiger Dentalhygiene. Begleitet wird das Projekt von Dr. med. dent. Marcel Z’Graggen, Heimzahnarzt im «Cadonau» und Präsident der Graubündner Zahnärzte-Gesellschaft (GZG). «Das Seniorenzentrum Cadonau leistet Pionierarbeit in Sachen Mundhygiene für Senioren», sagt er. «In der Deutschschweiz gibt es bis anhin wohl nichts Vergleichbares.»
Bewohner schätzen das Angebot
Das Dentalhygienezimmer ist das Reich von Mirjam Derungs. Die Dentalhygienikerin fühlt sich sichtlich wohl. Das Zimmer ist modern und freundlich eingerichtet, sogar ein Röntgengerät ist vorhanden. Durchs Fenster schweift der Blick über den Churer Hausberg Calanda. Die geforderten Hygienestandards (MePV 812.213) sind erfüllt. Alle Instrumente werden in der Praxis des Heimzahnarztes sterilisiert, verpackt, und die zugehörigen Sterilisationsdaten werden in die Krankengeschichte des Patienten eingescannt. Die fertig aufbereiteten Instrumente werden dann ins Zentrum gebracht. Während der Behandlung im Altersheim ist der elektronische Zugriff auf die Patientenakten online via Praxisserver möglich.
Jeweils am Mittwochnachmittag können die Bewohner des Seniorenzentrums einen Termin für die Dentalhygiene vereinbaren. Mirjam Derungs erklärt: «Wer schon früher regelmässig zur Dentalhygiene ging, schätzt das Angebot hier im Haus. Die Bewohner der Pflegeabteilungen werden vom Pflegepersonal bei Verdacht auf Schmerzen, bei Mundgeruch oder wenn der Bewohner nicht mehr essen will, angemeldet.»
Erfahrung und Sensibilität
Mirjam Derungs ist beim Heimzahnarzt Marcel Z’Graggen angestellt und arbeitet Teilzeit in zwei weiteren Privatpraxen. Die Aufgabe im Seniorenzentrum könne nur eine erfahrene Dentalhygienikerin übernehmen, meint Z’Graggen. «Sie kann die Mundgesundheit der Patienten richtig einschätzen und weiss, wann eine Überweisung in die Praxis nötig ist. Ausserdem erfordert die Arbeit mit betagten und zum Teil dementen Patienten eine besondere Sensibilität.» Das ist kein Problem für Mirjam Derungs: «Ich arbeite schon seit 30 Jahren als Dentalhygienikerin und beschäftige mich ebenso lange mit der Mundpflege von Bewohnern in Altersheimen.» Sie nehme sich viel Zeit, erklärt sie. «Und ich muss akzeptieren, dass die Behandlung verschoben werden muss, wenn der Patient sie ablehnt.»
Beim Eintritt ins Seniorenzentrum seien viele ältere Menschen noch teil- oder gar vollbezahnt, erzählt Mirjam Derungs. «Doch wenn die Sehkraft und die Geschicklichkeit allmählich nachlassen, wird auch die Mundhygiene schlechter. Damit die Bewohner ihre körperlichen und geistigen Ressourcen bewahren können, sollten sie alltägliche Handlungen wenn möglich selber vornehmen. Aber in der Mundhygiene reicht es nicht, wenn der Bewohner eine Zahnbürste halten kann. Das Pflegepersonal muss kontrollieren und allenfalls nachputzen.» Die Betreuer in Pflegeheimen werden in der heutigen Zeit mit den individuellen Mundsituationen der Bewohner sehr gefordert. «Deshalb ist es ideal, wenn die Bewohner in Begleitung der zuständigen Betreuer ins Dentalhygienezimmer kommen. Dann kann ich beide gleichzeitig instruieren.» Mirjam Derungs ist auch Ansprechperson für das Pflegefachpersonal, wenn Mundkrankheiten von Bewohnern festgestellt werden oder allgemeine Fragen zum Thema Mundgesundheit auftauchen.
Wichtige Schulung
Das Dentalhygienezimmer im Seniorenzentrum Cadonau ist Teil eines grösseren Projekts der GZG. Dessen Massnahmen zielen alle darauf ab, die Mundhygiene der pflegebedu?rftigen Menschen zu verbessern. So wurden beispielsweise allen Alters- und Pflegeheimen im Raum Chur Heimzahnärzte für zahnmedizinische Notfälle zugewiesen. Diese Zahnärzte sind auch für die Instruktion des Pflegepersonals über die Mundhygiene von älteren Menschen zuständig. Zwei Dentalhygienikerinnen schulen im Auftrag der GZG das Pflegepersonal der Heime. Auch in der Spitex werden Schulungen durchgeführt. «Im praktischen Teil der Schulung putzen sich die Teilnehmer gegenseitig die Zähne», verrät Mirjam Derungs. «Nur so können sie nachvollziehen, wie sich das Zähneputzen für die Pflegebedürftigen anfühlt.» Und sie fährt fort: «Die Mundhygiene in der Pflege ist ein sehr sensibles Thema. Teilweise aufwendige prothetische Versorgungen mit Implantaten, Kronen, Brücken oder Teilprothesen machen die Mundhygiene für das Pflegepersonal zu einer anspruchsvollen Arbeit. Umso wichtiger ist es, dass eine zahnmedizinische Fachperson regelmässig vor Ort ist und Fragen beantworten kann.»
Medizinische Fakten überzeugten
Die Gesamtkosten für die neue Infrastruktur im Dentalhygienezimmer beliefen sich auf ungefähr 90'000 Franken. Den grössten Teil übernahm die Stiftung, welche das Seniorenzentrum betreibt. Zudem erfuhr das Projekt grosszügige Unterstützung der Unternehmen Demadent, Killer Lei und Martin Engineering. Den fehlenden Restbetrag übernahm die Praxis Dr. Z’Graggen. Als Heimzahnarzt des Seniorenzentrums hat er die Stiftung überzeugt, dass sich die Investition lohnt. «Und zwar mit medizinischen Argumenten», erinnert sich Z’Graggen. «Die Mundhygiene ist ein äusserst wichtiger Faktor für die Allgemeingesundheit. Infektionen im Mundraum können mit Krankheiten wie Lungenentzu?ndung, Herz-Kreislauf- Krankheiten oder Diabetes zusammenhängen. Ausserdem können Karies und Zahnfleischerkrankungen zu Abszessen oder Zahnverlust führen. Das sind Facts.» Dazu kommt, dass Entzündungen im Mund von älteren Patienten häufig erst sehr spät entdeckt werden. Gründe sind ein reduziertes Immunsystem, entzündungshemmende Medikamente und ein generell vermindertes Schmerzempfinden bei älteren Patienten. Auch auf politischer Ebene setzt sich die GZG für die Mundgesundheit von betagten Menschen ein, zum Beispiel durch aktive Teilnahme an der Vernehmlassung des neuen kantonalen Gesundheitsgesetzes Graubünden. Z’Graggen und der Vorstand der GZG lobbyieren dafür, Betriebsbewilligungen von Pflegeheimen mit der Auflage zu verknüpfen, dass die «Pflege und Betreuung von Bewohnerinnen und Bewohnern gemäss den fachmedizinischen Anforderungen zu gewährleisten ist». Z’Graggen ist überzeugt: «Die Bewohner von Seniorenheimen haben wie alle Patienten ein Recht auf Achtung ihrer persönlichen Freiheit und ihrer Würde und ein Recht auf Information über die Behandlungsmöglichkeiten. Angesichts dieser Tatsache darf die Mundhygiene nicht vernachlässigt werden.»