Künstliche Intelligenz (KI) erkennt Hautkrebs auf Fotos ähnlich kompetent oder sogar besser als ein Dermatologe. Sie überprüft regelmässig Blutdruck- und EKG-Daten und meldet Auffälligkeiten. Im Chat mit depressiven Personen registriert sie Hinweise auf emotionalen Stress und hilft den Betroffenen, die akute Situation zu meistern.

KI wird in vielen Bereichen der Medizin bereits angewendet. Trotzdem haben manche Menschen Vorbehalte. Sie befürchten etwa, dass eine Maschine über Leben und Tod entscheidet. Das ist tatsächlich eine furchteinflössende Vorstellung, sie entspricht aber nicht der Realität. Das Misstrauen beruht fast immer auf einem falschen Bild davon, was KI kann – und was nicht.

Suche nach Mustern im Datenschatz

Selbstlernende algorithmische Systeme – darum handelt es sich meistens, wenn von KI die Rede ist – haben keine menschliche Intelligenz, keine Intuition und kein Bewusstsein. Sie können deshalb Arzt und Ärztin nicht ersetzen. Was sie aber ganz hervorragend schaffen: riesige Datenmengen durchforsten und Muster erkennen. Das tun sie unermüdlich, ohne Wertschätzung, Pausen oder Schlaf. Und sie lernen stetig dazu.

Viele Daten werden in der Medizin ohnehin erhoben. Sie nicht auszuwerten, wäre so, als würde man einen versunkenen Schatz nicht heben. Diese Routinearbeit einer Maschine zu überlassen, ist sinnvoll. So können Ärzte und Pflegepersonal mehr Zeit am Bett des Patienten verbringen. Dort sind jene Eigenschaften gefragt, die eine KI nicht bieten kann: Fürsorge, Empathie, Menschlichkeit.

Ethische Richtlinien für Menschen und ­Maschinen

Es gibt jedoch berechtigte Kritik am Einsatz von KI-Systemen in der Medizin. So wie Ärztinnen und Ärzte ethische Richt­linien befolgen, so müssen auch für KI in der Medizin Regeln definiert und eingehalten werden. Die wichtigsten betreffen Datenschutz, Transparenz und Verantwortung.

Erstens müssen die Patientendaten geschützt sein. Wer eine KI nutzt, muss sicherstellen, dass keine Diskriminierung aufgrund der erhobenen Daten möglich ist. Aussenstehende dürfen keinen Zugriff auf die Daten einzelner Patienten erhalten.

Zweitens muss der Aufbau der KI-Systeme transparent sein. Unabhängige Experten müssen jederzeit nachvollziehen können, welche Kriterien der Algorithmus anwendet.

Drittens verantwortet der Mensch die ­medizinische Entscheidung, auch wenn eine KI beteiligt war. Der Hersteller einer künstlichen Intelligenz könnte allenfalls zur Verantwortung gezogen werden, wenn ein schwerer Systemfehler vorliegt. Entsprechende Gesetze existieren jedoch noch nicht.

Die WHO warnt vor Missbrauch

Der Einsatz von KI in der Medizin beschäftigt auch die Weltgesundheitsorganisation WHO. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht zeigt sie die ethischen Herausforderungen, die mit dem Einsatz von KI im Gesundheitswesen verbunden sind. Und sie gibt Empfehlungen für Regierungen, KI-Entwickler, Organisationen und Unternehmen, damit die Technologie nicht missbraucht wird. Laut WHO birgt KI ein enormes Potenzial, um weltweit die Gesundheit von Millionen Menschen zu verbessern; doch der missbräuchliche Einsatz könne enormen Schaden verursachen.

Keine Science-Fiction-Welt

Die Fachleute sind sich uneins, inwiefern KI die Medizin verändern wird. Die Technologie wird vermutlich keine unheil­baren Krankheiten plötzlich besiegen. ­Sicher ist, dass sie Ärzten und Patienten ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Aktuelle Beispiele dafür sind die personalisierte Medizin oder telemedizinische Anwendungen. Sollte KI dereinst auch komplexere Aufgaben erledigen, wird die Gesellschaft schwierige Fragen beantworten müssen: Wie viel Autonomie und Verantwortung geben wir der KI? Sollen wir alles ermöglichen, was technisch machbar ist?

Mediziner sind sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst. Das zeigt beispielsweise die Forschung im Center for Artificial Intelligence in Medicine CAIM in Bern. Rouven Porz, Leiter Medizinethik und ärztliche Weiterbildung am Inselspital Bern, versichert in einem Interview: «Keiner will eine Science-Fiction-Welt, in der die KI irgendwann die Herrschaft über den Menschen übernimmt.» Medizinische Entscheidungen werden auch künftig Menschen treffen: nämlich der Arzt und der Patient gemeinsam.

Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen SDJ und Politik+Patient, der gesundheitspolitischen Zeitschrift des Verbands deutschschweizerischer Ärztegesellschaften.