Ärzte verbringen immer mehr Zeit am Computer statt am Patientenbett. Und das nicht freiwillig. Grund ist die zunehmende Bürokratie in Arztpraxen und Spitälern. Besonders betroffen sind junge Ärztinnen und Ärzte. Das ist einerseits ein Problem für die Ärzte, die ihren Beruf nicht so ausüben können, wie sie es möchten. Andererseits ist es auch ein Nachteil für die Patienten, weil die Behandler weniger Zeit für sie haben. Und schliesslich wirkt es sich auch finanziell aus: Mehr Administration bedeutet nämlich mehr Kosten.

Sensibilisierung, konkrete Massnahmen und zwei Pilotprojekte

«Medizin statt Bürokratie!» fordern nun Ärztinnen und Ärzte, unterstützt vom Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (vsao). Dieser hatte vor drei Jahren eine Kampagne unter diesem Motto lanciert. In einer ersten Welle ging es darum, die Spitalleitungen und die Leitungen der Weiterbildungsstätten für das Problem zu sensibilisieren und zu zeigen: Gegen die zunehmende Bürokratie ist man nicht einfach machtlos; man kann etwas dagegen unternehmen.
In der zweiten Phase der Kampagne wurde es konkreter: Drei Spitäler zeigten auf, mit welchen Massnahmen sie den administrativen Aufwand der Ärztinnen und Ärzte verringern. So reorganisierte man beispielsweise im Hôpital du Jura das Sekretariat der Abteilung Innere Medizin, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort die Ärzte entlasten können. Zudem hat der vsao weitere Beispiele in einer Liste gesammelt. Diese wird stetig verlängert und ist auf der Kampagnenwebsite (www.medizin-statt-buerokratie.ch) aufgeschaltet.
Seit Herbst 2019 läuft die dritte Etappe der Kampagne. Der vsao unterstützt zwei Kliniken bei einem Pilotprojekt, das die Reduzierung der Administration zum Ziel hat. «Zusammen mit den Assistenzärzten und den Ärzten in diesen Spitälern und mit Hilfe einer spezialisierten Beratungsfirma haben wir Probleme identifiziert und erarbeiten nun mögliche Lösungen», erklärt Marcel Marti, stellvertretender Geschäftsführer des vsao. Resultate liegen in einigen Monaten vor.

Zwei Stunden administrative Arbeit täglich

Wie nötig diese Bemühungen tatsächlich sind, zeigt die Statistik. Eine Studie im Auftrag der FMH zum Thema Arbeitsplatzzufriedenheit von Assistenz- und Oberärzten* zeigt Folgendes: In der Akutsomatik tätige Ärzte wenden für Dokumentationsarbeiten rund um das Patientendossier im Schnitt 20 Prozent ihrer Arbeitszeit auf, das entspricht 119 Minuten täglich. Im Vergleich dazu machen medizinische patientennahe Tätigkeiten rund 34 Prozent der Arbeitszeit aus. Assistenzärzte gaben an, sogar gleich viel Zeit für medizinische wie für dokumentarische Aufgaben aufzuwenden.
Die Studie zeigt auch, dass die administrative Arbeit zunimmt: Im Jahr 2011 gaben die Ärzte an, 86 Minuten täglich für Dokumentationsarbeit aufzuwenden. In der Rehabilitation sehen die Zahlen ähnlich aus.

Globalbudget und Kostenbremse sind eine schlechte Idee

Die aktuelle Entwicklung in der Gesundheitspolitik wird das Problem kaum entschärfen. Zum Beispiel die Einführung ­eines Globalbudgets gemäss den bundesrätlichen Massnahmenpaketen zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen: «Zwar wissen wir nicht genau, wie ein Globalbudget oder eine Kostenbremse  umgesetzt würden. Sicher ist, wenn weniger Geld zur Verfügung steht, geraten die Ärzte, vor allem junge Ärzte, noch stärker unter Druck als sie ohnehin schon sind», sagt Marcel Marti. Zudem stünden auch weniger Mittel zur Verfügung, um den Zuwachs an Bürokratie zu kompensieren, etwa durch Reorganisationen oder durch eine Aufstockung des Personals.

Coronapandemie lanciert die Diskussion neu

Marti ist überzeugt, dass die Erfahrungen während der Coronapandemie die Diskussion neu anstossen werden. «Nach dieser Krise werden wir überlegen, was funktioniert hat und was nicht. Genügte die personelle Dotation in den einzelnen Abteilungen? Konnten die Spitäler ihren Auftrag erfüllen? Wurde in der Vergangenheit vielleicht zu viel gespart?» Den Ärzten und dem Pflegepersonal werde in diesen Tagen viel abverlangt, stellt Marti fest. «Und es ist selbstverständlich, dass sie in solchen Extremsituationen beispielsweise längere Arbeitszeiten und kürzere Ruhezeiten in Kauf nehmen. Aber nach der Krise müssen wir über die Bücher gehen.»

Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen SDJ und Politik+Patient, der gesundheitspolitischen Zeitschrift des Verbands deutschschweizer Ärzte­gesellschaften.


*Erhebung von von GFS Bern, Juni/Juli 2019, an der 1572 Ärztinnen und Ärzte teilgenommen ­haben. Schweiz Ärztezeitung 101: 4-6 (2020)