In der Notfallmedizin ist ein schnelles Eingreifen besonders wichtig. Der Rettungssanitäter, der normalerweise als Erster am Einsatzort ist, hat aber nicht die Behandlungskompetenz eines Arztes. Wie praktisch wäre es doch, wenn man wenigstens einen ausgebildeten und erfahrenen Arzt «live» zuschalten könnte!
Genau so funktioniert das Telenotarztsystem in der Stadt Aachen und Umgebung, das seit rund sechs Jahren im Regelbetrieb läuft. Die zunehmende Nachfrage nach Notarzteinsätzen und der Fachkräftemangel hätten die Verantwortlichen dazu bewogen, ein telemedizinisches System einzuführen, erklärt Frederick Hirsch vom Universitätsklinikum Aachen.
Der Notarzt wird nicht ersetzt
Konkret sieht das so aus: Der Rettungssanitäter steht übers Telefon mit dem Notarzt in der Zentrale in Kontakt. Er kann Fotos, Videos sowie die Vitaldaten des Patienten in Echtzeit übermitteln. Der Arzt wiederum ist ausgerüstet mit Checklisten und Behandlungspfaden. Aufgrund der übermittelten Informationen schätzt er den Fall ein und informiert den Sanitäter über das weitere Vorgehen. Rund 10 bis 15 Minuten dauert so ein Gespräch im Durchschnitt.
Die Vorteile des Systems sind offensichtlich: Notfallsanitäter können jederzeit auf eine ärztliche Expertise zurückgreifen – oder auch nur eine Zweitmeinung einholen. «Der Notarzt wird nicht ersetzt», betont Frederick Hirsch. «Sondern er spart sich einfach den Anfahrtsweg.» Das Modell von Aachen hat sich bewährt, gerade auch in ländlichen Regionen. Probleme verursachen laut Hirsch die Lücken im Mobilfunknetz sowie die Vorbehalte von Ärzten und Patienten.
Regionalspitäler profitieren von Experten
Telemedizin ist auch am Inselspital Bern ein Thema, sowohl in der direkten Patientenkonsultation als auch in der Spitalversorgung. Letzteres zum Beispiel in der Neurologie: «Wir arbeiten mit 17 Spitälern und Notfallzentren zusammen, deren Radiologen bei Bedarf den Neuroradiologen des Inselspitals konsultieren können. Das ist eine WinwinSituation für alle Beteiligten», sagt Simon Jung von der Universitätsklinik für Neurologie des Inselspitals.
Bewährt hat sich die Telemedizin auch bei Schlaganfallpatienten. Ein verschlossenes Gefäss kann entweder medikamentös oder mit einem Katheter wieder eröffnet werden. Letzteres ist nicht in allen Schweizer Spitälern möglich. Dank Telemedizin kann der Arzt in einem Regionalspital für die Entscheidung einen Kollegen aus dem Inselspital beiziehen. Und falls das Katheterverfahren indiziert ist, wird ein Helikoptertransport nach Bern organisiert.
Den Aufwand nicht unterschätzen
Solche Notfallkonsultationen sind in der Schweiz schon seit den 1990erJahren möglich. Telemedizin ist demnach nichts Neues. Durch die technischen Fortschritte in Sachen Datenübertragung können telemedizinische Systeme aber immer häufiger auch direkt zwischen Arzt und Patient eingesetzt werden. Am Inselspital Bern beispielsweise werden Patienten mit einem implantierten Herzschrittmacher telemedizinisch überwacht. Auf ihrem Nachttisch steht ein Gerät, das jede Nacht die Daten des Schrittmachers auf einen Server lädt. Am nächsten Tag kontrolliert eine Fachperson diese Daten. Zeigen sich Unregelmässigkeiten oder besteht der Verdacht auf einen Defekt, kann man schnell reagieren, bevor der Patient ernsthafte Schwierigkeiten hat.
Über 800 Patienten werden im Inselspital zurzeit auf diese Weise betreut. Dieses Verfahren ist gemäss Laurent Roten von der Universitätsklinik für Kardiologie am Inselspital für die Patienten ebenso sicher wie die Präsenznachsorge. Der Aufwand für die Überwachung der Daten sei aber nicht zu unterschätzen, fährt Roten fort. «Das kann der diensthabende Arzt nicht noch nebenbei erledigen.» Am Inselspital wurden eigens für diese Aufgabe Pflegefachkräfte ausgebildet.
Dieser Text stützt sich auf die Referate am Schweizer Kongress für Telenotfallmedizin und Digital Health, der im Februar am Inselspital Bern durchgeführt wurde. Der Artikel entstand im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen SDJ und doc.be, dem Magazin der Ärztegesellschaft des Kantons Bern.