Frauke Müller, seit Juni 2018 sind Sie Direktorin der zahnmedizinischen Universitätsklinik in Genf (CUMD). Wie gefällt ihnen die Aufgabe?
Sie macht mir viel Spass. Ich kann gestalten, junge Menschen unterstützen, praktisch denken, pragmatisch sein. Und es tut sich was. Wir konnten schon einige Neuerungen umsetzen. Ausserdem haben wir tolle Studentinnen und Studenten. Sie sind so fröhlich und interessiert, alle ziehen an einem Strang. Das zeigt sich jeweils bei der Gala dentaire: Einmal im Jahr organisieren die Studenten ein aufwändiges Fest im Fünfsternehotel mit allem Drum und Dran. Rund 150 Mitarbeitende nehmen jeweils teil. Das ist eine enorme Aufgabe für die Studenten. Wir sind sehr stolz auf sie.
Welchen Herausforderungen sind Sie seit ihrem Amtsantritt begegnet?
Die CUMD ist 2017 in das neue Gebäude des universitären Zentrums für Medizin (Centre médical universitaire) gezogen. Es hat noch einige Kinderkrankheiten. Vor dem Umzug konnte man sich nicht wirklich vorstellen, wie die alltäglichen Arbeitsabläufe im neuen Gebäude funktionieren. Jetzt hat sich alles eingespielt und wir können wo nötig nachrüsten.
Welche Schwerpunkte werden Sie als Direktorin der CUMD setzen?
Ich möchte junge Leute vermehrt im Mentoringstil auf eine akademische Karriere vorbereiten. Sie sollen gefördert und weiterempfohlen werden und eine klassische, fundierte Wissenschaftsausbildung erhalten. Einen zweiten Schwerpunkt setze ich bei der Kommunikation und der Arbeitsatmosphäre. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen sich wohl fühlen. Weiter möchte ich die Kommunikation zwischen den einzelnen Abteilungen und die translationale Forschung fördern.
Welche Pläne haben Sie für Forschung und Klinik?
Wir verfolgen zwei Achsen: die Digitalisierung – die Technologie an der ganzen Klinik soll up to date sein – und die soziale Zahnmedizin. Für Patienten, deren Behandlungen der Staat bezahlt, entwickeln wird gute Konzepte. Aber die Abläufe lassen sich deutlich verbessern: Bis ein von uns erstellter Behandlungsplan akzeptiert wird, vergehen bis zu sechs Monate. In dieser Zeit verschlimmert sich eine Karies vielleicht, sodass wir den Zahn nicht mehr retten können. Das ist nicht zu verantworten. Deshalb werden wir gemeinsam mit den kantonalen Behörden die Antragsstellung digitalisieren und vereinfachen.
In den internationalen Universitätsrankings hat die CUMD kürzlich einen sehr grossen Sprung nach vorne gemacht.
Diese gute Platzierung ist unter anderem der Visibilität unserer Professoren zuzuschreiben. Die Universität Genf lässt uns grossen Freiraum, zum Beispiel um an internationalen Kongressen teilzunehmen. Man glaubt hier, dass genug Raum zur Entfaltung die Kreativität der Mitarbeiter fördert.
Unterscheidet sich die universitäre Zahnmedizin in Genf von jener an Deutschschweizer Universitäten?
Ja, ich glaube die Denkweise in der Romandie ist weniger strukturiert als an Deutschschweizer Unis. Viele unserer Patienten haben ein kleines Budget. Um trotzdem eine funktionierende Lösung zu finden, braucht es kreative Ideen, Flexibilität und Erfahrung. Das ist unsere Stärke: Wir machen aus den gegebenen Möglichkeiten das Beste und gehen dafür auch unkonventionelle Wege.
Entspricht dieser kreativere Ansatz Ihnen auch persönlich?
Ja, in meinem Fachgebiet, der Gerodontologie, funktionieren Standardbehandlungskonzepte häufig nicht; weil der Patient nicht liegen kann, weil er den Mund nicht aufmachen will, weil er zu wenig Geld hat usw. Ich muss deshalb jeden Behandlungsschritt auf den Patienten zuschneiden.
Welchen Stellenwert hat eigentlich die Gerodontologie an der Uni Genf?
Sowohl die Geriatrie als auch die Gerodontologie werden seit Langem sehr gefördert. Genf war denn auch die erste Schweizer Universität, die 1982 einen unabhängigen Lehrstuhl für Gerodontologie eingerichtet hat. Und dass die aktuellen Lehrstuhlinhaber von Bern und Zürich in Genf ausgebildet wurden, spricht für sich.
Was zeichnet die CUMD im Bereich der Lehre aus?
Unsere Studierenden führen viele Patientenbehandlungen durch – diese machen über 60 Prozent des Unterrichts aus! Jeder Student arbeitet an einem eigenen Stuhl. Und sie behandeln schon früh ohne Assistenz, so lernen sie, selbstständig zu arbeiten. Ein weiterer Unterschied zu anderen Universitätskliniken: In Genf unterrichten viele Teilzeitkräfte aus Privatpraxen. Sie lehren Zahnmedizin aus dem «wahren Leben» eines Praktikers. Weiter pflegen wir ein sehr integratives Behandlungskonzept. Seit dem Umzug arbeiten wir sogar in einer modular eingerichteten Klinik: Stühle und Geräte stehen allen Abteilungen zur Verfügung. So nutzen wir die Ressourcen optimal aus. Das ist sehr fortschrittlich. Universitäten im Ausland haben diese Aufweichung der Abteilungsgrenzen erfolgreich vorgelebt. Die strenge Unterteilung in Disziplinen wird ja ohnehin nicht mehr gelebt, sondern man arbeitet vermehrt fachübergreifend.
Die Zahnmediziner und die Mediziner an der Universität Genf sind seit Herbst 2017 im selben Gebäude untergebracht. Merkt man das?
Daran müssen wir noch arbeiten. Wir teilen uns die Unterrichtsräume und die Hörsäle. Dadurch ist die Zahnmedizin innerhalb der Fakultät sichtbarer geworden. Bis aber vermehrt gemeinsame Forschungsprojekte realisiert werden können, braucht es noch Zeit.