An den Universitäten werden zwar innovative Materialien, Produkte oder Verfahren entdeckt und getestet. Nicht alle schaffen aber den Sprung in die Praxis. Denn dazu braucht es neben einem guten Produkt auch das Verständnis für und den Zugang zum Markt.
«Studierende und Forschende sind sich gewöhnt, eigenständig Themen zu vertiefen und diese als Experten zu vertreten», erzählt Eva Maria Håkanson, Innovation Officer an der Universität Zürich. «Viele tendieren deshalb dazu, ein perfektes Produkt entwickeln zu wollen, bevor sie mit potenziellen Nutzern und Geldgebern sprechen.» Wer eine unternehmerische Laufbahn anstrebt, sollte jedoch lernen, dieses Feedback frühzeitig einzuholen und es sinnvoll umzusetzen. Für den Erfolg eines Produkts sind neben einer innovativen Technologie auch andere Aspekte wie Marktnutzen, IP-Strategie, Finanzierungsplan und regulative Aspekte wichtig. Viele dieser Themen sind für junge Forschende Neuland. Ein Netzwerk in der Start-up-Szene sowie Kontakte zu möglichen Kunden und Investoren erleichtert jeden weiteren Schritt beim Firmenaufbau. Die Studierenden müssen aber auch lernen, potenzielle Geldgeber und Partner von ihrer Idee zu überzeugen. Dazu ist eine zielgruppengerechte Kommunikation nötig. Die Studierenden seien sich gewöhnt, mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu sprechen, nicht jedoch mit potenziellen Geldgebern, sagt Eva Maria Håkanson.
Die «Third Mission» der Universitäten
Diese Herausforderungen für junge Unternehmerinnen und Unternehmer führen dazu, dass vielversprechende Ideen, die eigentlich zum Nutzen von Behandlern und Patienten eingesetzt werden könnten, nie zur Marktreife weiterentwickelt werden. Um dies zu verhindern, haben die Universitäten Anlaufstellen und Programme für Innovationsförderung eingerichtet. Das hat zwei Gründe, erklärt Eva Maria Håkanson: «Einerseits geht es uns darum, der sogenannten «Third Mission» – neben Forschung und Lehre – gerecht zu werden. Es ist der Universität wichtig, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Der Transfer von Forschungsresultaten in neue Produkte und Prozesse soll deshalb gestärkt und beschleunigt werden.»
Andererseits wolle die Universität Zürich den Studierenden auch vermehrt alternative Karrierepfade aufzeigen, erklärt Eva Maria Håkanson. Nicht nur, weil unternehmerisches Denken auch in Zukunft wichtig sein werde, sondern auch, weil eine akademische Karriere bis zum Professor eine relativ enge Zukunftsperspektive bietet.
Speziell für Masterstudierende der Life Sciences bietet die Universität Zürich ab dem Herbstsemester 2021 einen neuen Studiengang an, der Minor Biomed Entrepreneurship. Er wird lanciert vom Institute for Regenerative Medicine und der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich. Die Teilnehmer lernen, wie man Forschungsergebnisse erfolgreich in die Praxis umsetzt. Aufgrund früherer Erfahrungen mit ähnlichen Programmen werden viele Bewerbungen erwartet.
Translationale Forschung
Die wirtschaftliche Umsetzung von wissenschaftlichen Projekten schon in der Forschung mitdenken, dieses Ziel hat sich Sitem-Insel in Bern auf die Fahnen geschrieben. Im ersten nationalen Kompetenzzentrum für translationale Medizin und Unternehmertum werden Produkte aus der industriellen Entwicklung und Grundlagenforschung gefördert, damit sie rasch und in höchster Qualität für die klinische Anwendung zugelassen werden. Grosse Partner wie die Insel-Gruppe, die Universität Bern oder CSL Behring und das Diabetes Center Berne, aber auch kleine Einheiten betreiben in Sitem-Insel sogenannte Plattformen aus Klinik, Industrie, Forschung und Bildung. Sitem-Insel erbringt also die Innovation weitgehend nicht selbst, sondern verbindet verschiedene Akteure – einerseits räumlich unter einem Dach, andererseits auch mit nationaler und internationaler Zusammenarbeit.
Diese Vernetzung ist gemäss den Initiatoren des Zentrums fundamental, damit ein medizinisches Forschungsprojekt den Schritt in den Markt schafft. «Erfolgreiche Forschung allein ergibt noch kein fertiges Produkt, das am Patienten angewandt werden kann, beispielsweise im Medtech-Bereich» erklärt Simon Rothen, CEO von Sitem-Insel. «Für die Etablierung eines Produkts am Markt braucht es auch Tests oder klinische Studien, Zulassungsprozesse und ein Business-Modell inklusive Finanzierung. Deshalb sollten die verschiedenen Akteure – Forscher, Interessensvertreter aus Industrie, Hochschulen, Klinik, Verbänden und private Akteure – prozessorientiert zusammenarbeiten.» Diese Kollaboration wird mit Sitem-Insel unterstützt und gefördert.
Partnerschaft von Privaten und Öffentlicher Hand
Sitem-Insel ist ein PPP-Projekt (Public Private Partnership) und hat Anfang 2017 als nicht gewinnorientierte Aktiengesellschaft den Betrieb aufgenommen. PPP bedeutet die Partnerschaft von Öffentlicher Hand (Kanton Bern und Bund), Wissenschaft (Inselspital, Universität Bern, Berner Fachhochschule und weitere Partner) und Privatwirtschaft. Der Kanton Bern erhofft sich von seinem Engagement eine Stärkung des Medizinalstandorts Bern, der bereits über das grösste Schweizer Universitätsspital und die grösste medizinische Fakultät in der Schweiz verfügt. Mit Sitem-Insel ist nun auch die translationale Forschung prominent vertreten.
In Zusammenarbeit mit der Universität Bern bietet Sitem-Insel auch Studiengänge in drei Forschungsbereichen an: Translationale Medizin und Biomedizinisches Unternehmertum, Künstliche Intelligenz in der medizinischen Bildgebung sowie Zulassung von Medizinprodukten und Qualitätssicherung.
Nationale Innovationsförderung
Ebenfalls in der Innovationsförderung aktiv ist der Bund. Die Agentur Innosuisse übernimmt diese Aufgabe als öffentlich-rechtliche Anstalt des Bundes mit eigener Rechtspersönlichkeit. Schwerpunkte der Förderung sind Innovationsprojekte, Vernetzung, Ausbildung und Coaching. Innosuisse fördert nach dem Prinzip der Subsidiarität: Sie unterstützt Projekte nur dann, wenn Innovationen ohne Finanzierung nicht zustande kämen oder Marktpotenziale ungenutzt blieben.