Das Gesicht der Armut in der Schweiz hat sich verändert. Bis etwa Mitte des letzten Jahrhunderts waren Armutsbetroffene häufig unter- oder mangelernährt. Heute ist das Gegenteil der Fall. Menschen mit niedrigem Einkommen sind überproportional häufig übergewichtig. Das zeigt beispielsweise die repräsentative Studie «menuCH» aus dem Jahr 2018 (siehe Kasten): Demnach arbeiten übergewichtige und adipöse Studienteilnehmende mehr als Normalgewichtige, sie verdienen aber weniger. Über die Gründe dieses Ungleichgewichts lässt sich spekulieren: Essen wenig Verdienende aus Zeitmangel ungesünder? Wissen sie nicht, was eine ausgewogene Ernährung ausmacht? Oder können sie sich gesunde Nahrungsmittel finanziell nicht leisten?

Frisches Obst und Gemüse sind ein Kostenfaktor

Bei vielen hochverarbeiteten Lebensmitteln gilt: Je mehr Kalorien sie enthalten, desto günstiger sind sie. Das kommt daher, dass energiedichte Lebensmittel häufig mehr zugesetzte Zuckerarten und Fette sowie ausgemahlenes Getreide beinhalten – Grundstoffe, die auf dem Weltmarkt sehr billig gehandelt werden. So bleiben die Produktionskosten von verarbeiteten Lebensmitteln tief. Deshalb sind Waren aus Vollkorn meist teurer als Weissmehlprodukte, und auch gesunde Snacks wie Nüsse und Trockenobst kosten in der Regel mehr als Süssigkeiten und Chips. Frisches Obst und Gemüse stellen ebenfalls einen relevanten Kostenfaktor dar.

Teure Verpflegung unterwegs

Dennoch muss eine ausgewogene Ernährung nicht zwingend teuer sein. Studierende der Berner Fachhochschule verglichen 2014 drei Warenkörbe mit Lebensmitteln. Deren Inhalt wurde aufgrund von Interviews und Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung zusammengestellt.

Der Warenkorb für eine gesunde und ausgewogene Ernährung kostet für einen Paarhaushalt ohne Kinder pro Woche 108.30 Franken. Damit ist er etwas teurer als der Korb für eine ungesunde bzw. unausgewogene Ernährung (95.10 Franken). Die Mehrkosten des gesunden Warenkorbs kamen tatsächlich durch den Kauf von Gemüse zustande.

Deutlich teurer ist mit 146.50 Franken der dritte Korb, der sogenannte Convenience- Warenkorb. Er enthält auch Kosten für die Verpflegung unterwegs (Kaffee zum Mitnehmen, Mahlzeiten im Restaurant usw.). Dies erklärt die hohen Mehrkosten. Die Preisunterschiede zwischen Convenience-Produkten wie gefrorenes Gemüse oder Fertigpizza und deren frischem äquivalent seien hingegen nicht kostenrelevant, stellten die Autoren fest. Teilweise seien die Convenience-Produkte sogar günstiger.

Das Bild ändert sich jedoch, wenn zusätzlich zum reinen Warenpreis auch die Vorbereitung der Mahlzeiten (32.60 Franken pro Stunde) berücksichtigt wird. Dann wird der Convenience-Warenkorb sogar günstiger als der gesunde, ausgewogene Warenkorb.

Alle drei Warenkörbe in der Studie sind vergleichsweise günstig, weil gezielt nach dem billigsten Produkt gesucht wurde. Bio- und Markenprodukte sind weitgehend ausgeschlossen. Trotzdem kommen die Autoren zum Schluss, dass die Kosten einer gesunden Ernährung nicht im Weg stehen. Der Preis des gesunden Warenkorbs liegt nämlich unter dem Betrag, den Schweizer Haushalte mit tiefem Einkommen (unter 4880 Franken) im Durchschnitt für Lebensmittel ausgeben. Gemäss der Haushaltsbudgeterhebung des Bundes sind das 444 Franken pro Monat. Das entspricht ca. 111 Franken pro Woche, wobei die durchschnittliche Haushaltsgrösse bei 1,38 Personen liegt.

Gesunde Ernährung mit Sozialhilfe

Deutlich weniger Geld steht Sozialhilfebeziehenden zur Verfügung. Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) erlässt Richtlinien, die den Grundbedarf für den Lebensunterhalt ausweisen. Gemäss diesen Richtlinien braucht ein Zwei-Personen- Haushalt einen Betrag von 1539 Franken pro Monat (ca. 385 Franken pro Woche), um seinen Grundbedarf zu decken. Dazu gehören nicht nur Lebensmittel und alkoholfreie Getränke, sondern auch die Ausgaben für Bekleidung und Schuhe, Energieverbrauch, allgemeine Haushaltsführung, persönliche Pflege, Verkehrsauslagen, Medienkonsum, Freizeit, Sport und Unterhaltung sowie für Alkohol und Tabak.

Der Grundbedarf sei bewusst als Pauschalbeitrag vorgesehen, erklärt Ingrid Hess von der SKOS. Die unterstützten Personen sollen ihr verfügbares Einkommen selbst einteilen dürfen. Eine Richtgrösse besagt lediglich, dass etwas mehr als 40 Prozent des Grundbedarfs für Nahrungsmittel, Getränke und Tabak vorgesehen sind. Das entspricht rund 635 Franken pro Monat oder 159 Franken pro Woche für einen Paarhaushalt ohne Kinder.

Die SKOS-Richtlinien sind Empfehlungen. Die Kantone sind daher theoretisch frei, die Höhe der Beträge festzusetzen. Es besteht jedoch ein Konsens, dass mehr oder weniger einheitliche Regelungen zentral sind, damit Armutsbetroffene nicht von einem Kanton in den anderen «geschoben» werden.

Extras liegen kaum drin

Vergleicht man die Kosten der drei Warenkörbe der Berner Studie mit dem Grundbedarf gemäss SKOS-Richtlinien wird deutlich: Um sich gesund und ausgewogen zu ernähren, müssen Sozialhilfebeziehende sehr genau rechnen. Extras liegen kaum drin. Ingrid Hess formuliert es so: «Die SKOS ist der Auffassung, dass eine Reduktion des Grundbedarfs nicht möglich ist, ohne die Gesundheit zu beeinträchtigen.» Sie verweist auf eine Studie des Bundesamts für Gesundheit, wonach Sozialhilfebeziehende überdurchschnittlich häufig gesundheitlich beeinträchtigt sind. Inwieweit das mit der Ernährung zusammenhängt, sei nicht abschliessend geklärt. «Die Studie zeigt auch, dass Sozialhilfebeziehende sich schlechter ernähren als der Durchschnitt der Bevölkerung. Sie essen häufiger als die Restbevölkerung zu wenig Gemüse und Früchte (23% vs. 10 %)», so Ingrid Hess. Ob der Grund die mangelnden finanziellen Ressourcen sind, bleibe jedoch fraglich.