Zahnmedizin aktuell

«Zucker ist ein Luxusprodukt»

Wie kann man der Lust auf Süsses beikommen? Und welche Alternativen zum Haushaltzucker gibt es? SDJ sprach mit der Ernährungswissenschaftlerin PD Dr. Anne Christin Meyer-Gerspach über die Gefahren des Luxusprodukts Zucker.

Anne Christin Meyer-Gerspach, warum ­haben wir nie genug vom Zucker?

Zucker ist eine psychoaktive Substanz, die einige Eigenschaften mit Drogen teilt. So werden beim Konsum etwa die Dopaminrezeptoren im Belohnungszentrum des Gehirns stimuliert. Das macht natürlich Lust auf mehr. Weiter kann es bei übermässigem Konsum und plötzlichem Entzug zu Entzugssymptomen (Heisshungerattacken) kommen. Im Gegensatz zu Drogen sind beim Zucker allerdings keine direkten Wirkungen sichtbar. Man bekommt zum Beispiel keinen offensichtlichen Rausch. Die Suchtkomponente erschwert aber den Verzicht.

Ist die Lust auf Süsses demnach angeboren?

Die Anziehungskraft von Süssem scheint angeboren zu sein. Süsse Lebensmittel sind im Allgemeinen ungiftig und versprechen eine gewisse Kaloriendichte. Zudem schmeckt auch unsere erste Nahrung, die Muttermilch, durch den darin enthaltenen Milchzucker süss.

Kann man die Lust auf Süsses denn irgendwie drosseln?

Ja, die Geschmacksknospen auf der Zunge gewöhnen sich bei hohem Konsum an die süsse Nahrung und stumpfen ab. Wenn man die Süsse in der Nahrung reduziert, gewöhnt man sich wieder an weniger süsse Speisen. Nach einer gewissen Karenzzeit werden süsse Speisen als viel süsser empfunden, die Sättigung setzt früher ein und die Einschränkung fällt leichter.

Ist der Konsum von Süssgetränken speziell problematisch?

Ja, gerade auf ihnen beruht die Empfehlung der WHO zur Zuckerreduktion: «Der Konsum von Süssgetränken ist bei Erwachsenen und Kindern mit dem Risiko einer Gewichtszunahme verbunden.» Mit Süssgetränken nimmt man in relativ kurzer Zeit eine grosse Menge Zucker zu sich. Wichtig: Unter Süssgetränke fallen auch Fruchtsäfte und Smoothies, weil sie ebenfalls viel Zucker enthalten.

Ist für die gesundheitlichen Auswirkungen des Zuckers eher die Menge oder die Häufigkeit des Konsums relevant?

Beides! Regelmässiger, hoher Zuckerkonsum hat negative Effekte auf die verschiedensten Organsysteme. Das fängt im Mund an, wo Zucker der Hauptverursacher für Karies ist, und geht weiter mit den negativen Effekten auf den Stoffwechsel: Zucker begünstigt Übergewicht und Diabetes, schädigt die Gefässe und führt zu Bluthochdruck. Für die Entstehung von Karies spielt vor allem die Häufigkeit des Konsums eine Rolle. Zucker als Zwischenmahlzeit hat fatale Auswirkungen auf die Zähne. Für alle anderen Krank­hei­ten ist die Menge entscheidend.

Kinder werden in der Werbung für zuckerhaltige Produkte besonders angesprochen. Schadet Zucker Kindern mehr als Erwachsenen?

Zucker ist grundsätzlich schlecht! Aber ja, Kinder sind besonders schutzbedürftig, da der eingenommene Zucker durch das geringere Körpervolumen schlechter verarbeitet werden kann. Gerade im Wachstum ist Zuckerkonsum ungünstig für die Stoffwechsellage mit Wachstumshormonen –mit Konsequenzen für das ganze Leben.

Sollten Eltern ihre Kinder gänzlich zuckerfrei ernähren?

«Gänzlich» ist in der heutigen Zeit schwierig. Aber auf jeden Fall stark zuckerreduziert sollte die Ernährung sein. Für mich als Mutter ist es wichtig, dass man sich der schädlichen Wirkung bewusst ist und Zucker ganz gezielt einsetzt. In der Familie haben wir uns darauf geeinigt, dass es ein «Dessert» gibt. ­Etwas Süsses zwischendurch gibt es bei uns nicht.

Kann man den Zucker durch Süssstoffe ­ersetzen?

Zucker ist ein Luxusprodukt, das wir eigentlich nicht brauchen, und wenn, dann sollte er nur in geringen Mengen eingesetzt werden. Im Moment nehmen wir massiv zu viel Zucker zu uns. Es darf aber auch nicht das Ziel sein, den Zucker eins zu eins zu ersetzen. Vielmehr sollte man den süssen Geschmack reduzieren. Was dann noch übrig bleibt, können wir durch gesündere Alternativen ersetzen – und zwar durch eine Kombination davon. ­Erythrit und Xylit sind interessante Kandidaten, da sie eine einzigartige Kombination von Eigenschaften besitzen: Sie haben praktisch keinen Effekt auf den Blutzuckerspiegel und das Insulin, sie enthalten keine Kalorien, haben aber dennoch eine sättigende Wirkung.

In der Schweiz gibt es kaum politische Massnahmen gegen den hohen Zuckerkonsum. Stattdessen pocht man auf die Eigenverantwortung der Konsumenten. Halten Sie regulatorische Massnahmen wie eine Zuckersteuer für sinnvoll?

Als eine letzte Massnahme vielleicht. Aber zuvor braucht es andere Mittel. Wichtig ist, dass die breite Bevölkerung auf die schädliche Wirkung von überhöhtem Zuckerkonsum aufmerksam gemacht wird. Die Schäden sind nicht nur unangenehm, sondern verursachen auch Kosten, die wir am Ende alle tragen. Weiter gibt es eine ganze Reihe «Fallen» in Sachen zuckerreiche Ernährung. Erstens die sogenannten versteckten Zucker: Sehr viele Fertigprodukte, von denen man es nicht er­wartet, enthalten Zucker. Beispiele sind Fertigpizzen oder Salat­saucen. Zweitens, angeblich gesunder Zucker wie Agavensirup, Kokosblütenzucker, Honig: Letztlich bestehen sie alle aus Traubenzucker oder Fruchtzucker. Drittens die Deklaration von Zucker: Es werden Synonyme wie Traubenzucker verwendet; das ist aber nichts anderes als Dextrose oder Glukose. Viertens, vermeintlich gesunde Produkte: Das sind Produkte, von denen viele Menschen glauben, sie seien gesund, die jedoch sehr viel Zucker enthalten. Ein Beispiel sind Fruchtsäfte und Smoothies. Diese Zuckerfallen müssen dringend behoben werden, sonst ist Eigenverantwortung beim Zuckerkonsum nicht möglich.

PD Dr. phil. II Anne Christin Meyer-Gerspach, PhD, ist stellvertretende Leiterin der St. Clara ­Forschung AG und Leiterin der Forschungsgruppe «Übergewichts-, Diabetes- und Stoffwechselforschung» / «Chirurgische und gastroenterologische Forschung».

 

Zuckerarten und wie sie im Körper wirken

Wer von Zucker spricht, meint meistens Saccharose, den sogenannten Haushaltzucker. Saccharose besteht zu gleichen Teilen aus Glukose und Fruktose (Traubenzucker und Fruchtzucker). Sie wird im Dünndarm relativ schnell in diese beiden Bestandteile zerlegt.

Glukose lässt dabei den Blutzuckerspiegel ansteigen, und Insulin wird freigesetzt. Sie wird von den Körperzellen als Energiesubstrat verwendet oder in Glykogen umgewandelt und als Energiereserve in den Muskeln oder in der Leber gespeichert. Erst wenn diese Möglichkeiten ausgeschöpft sind, wird überschüssige Glukose in Fett umgewandelt und im Fettgewebe gelagert. Fruktose hingegen wird in der Leber zu Fett umgebaut und dort gespeichert oder ins Blut abgegeben. Dabei steigen die Blutfettwerte an. Im Gegensatz zur Glukose werden beim Abbau von Fruktose aber keine Sättigungshormone ausgeschüttet, auch wird das Belohnungszentrum im Gehirn nicht aktiviert. Fruktose steht deshalb unter Verdacht, den Appetit anzuregen, statt zu sättigen.

Sowohl Glukose als auch Fruktose wirken schädlich auf diverse Organsysteme. Unter anderem kann der Zuckerkonsum zu Karies, Übergewicht, Leberverfettung, Diabetes, Gicht und Bluthochdruck führen, längerfristig erhöht er das kardiovaskuläre Risiko und begünstigt Krebserkrankungen. Ausserdem führt der Zuckerkonsum zu einer vorzeitigen Haut- und Gefässalterung.

 

Alternativen zum Haushaltzucker

Zuckeralkohole sind eine Alternative ­sowohl zu herkömmlichem Haushaltzucker als auch zu künstlichen Süssstoffen. Besonders interessant scheinen Xylitol und Erythritol zu sein. Beides sind natürlich vorkommende Substanzen, die aus Harthölzern und Pflanzenresten extrahiert bzw. fermentiert werden, und haben die gleiche oder eine ähnliche Süsskraft wie Haushaltzucker. Sie stimulieren im menschlichen Körper die Freisetzung von Sättigungshormonen, haben aber trotzdem nur wenige/keine Kalorien, und der Blutzuckerspiegel steigt nur wenig oder gar nicht an. Zudem wirken beide Zuckerarten antikariogen: Sie reduzieren die Plaque-bildenden Bakterien im Mund, regen den Speichelfluss und die Säureregulation an und verbessern die Schmelz- und Knochenmineralisierung.

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