Rund die Hälfte der Schweizer Erwerbsbevölkerung mit Hochschulabschluss ist heute weiblich. Unter den Hochschulberufen ist der Frauenanteil im Bereich Medizin und Gesundheit sogar noch grösser: Hier sind bereits zwei Drittel aller Erwerbspersonen Frauen. Dennoch leisten Frauen weniger als die Hälfte der Arbeitszeit der Hochqualifizierten, nämlich etwas mehr als 40 Prozent. Dies rührt daher, dass Frauen häufiger Teilzeit arbeiten. Was sind die Gründe dafür?
Schere öffnet sich mit der Familiengründung
Um diese Frage zu klären, hat der Verband der freien Berufe (SVFB) eine Studie in Auftrag gegeben. Diese zeigt ein klares Bild, nämlich einen Knick: Der Beschäftigungsgrad unterscheidet sich bei der jüngsten Altersgruppe, den 25- bis 29-Jährigen, nur minimal zwischen hochqualifizierten Frauen und Männern. Mit Beginn der Familiengründungsphase jedoch öffnet sich die Erwerbsbeteiligungsschere – und schliesst sich zeitlebens nicht mehr. «Eine zentrale Erkenntnis ist, dass bei den Frauen die Erwerbsbeteiligung nicht einfach nur während der Kinderphase tief ist, sondern tief bleibt bis zur Pensionierung», sagt der Studienleiter und Politologe Michael Herrmann. «Auch wenn die Kinder längst gross sind, bleibt diese Ungleichheit, die im Alter von rund 33 Jahren geschaffen wird.»
Dass die Familiengründung zum Knick in der Erwerbsbeteiligung führt, zeigen auch die von den Befragten angegebenen Gründe für Teilzeitarbeit. Hier tritt ein markanter Geschlechterunterschied hervor: Frauen reduzieren primär aus familiären Gründen, den Männern geht es vermehrt um Freizeit und Erholung. Frauen gaben in der Befragung denn auch konkretere Kriterien an, die dazu führen würden, dass sie ihr Pensum erhöhen würden. Mehr als ein Drittel der befragten teilzeitarbeitenden Frauen gaben an, sie würden das Pensum aufstocken, wenn es «flexiblere und bessere Betreuungsstrukturen für Kinder» geben würde. Die Studienautoren ziehen das Fazit: «Männer arbeiten Teilzeit vor allem, weil sie dies so wollen. Bei Frauen spielen dagegen ungünstige Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle.» Dass die Erwerbstätigkeit von Frauen auch nach den ersten Jahren der Mutterschaft nicht wieder auf das Niveau davor steigt, liegt demnach an der fehlenden Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Frauen sehen Handlungsbedarf
Als Faktoren, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschweren, geben die Befragten beider Geschlechter dieselben Gründe an: Als besonders hinderlich sehen die Befragten die langen Arbeitstage. Dazu kommen Nacht- und Wochenendarbeit sowie Pikett- und Notfalldienste. Die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten, wird hingegen positiv gewertet – stärker von den hochqualifizierten Frauen. Ebenfalls als positiver Faktor wird Homeoffice gewertet.
Die befragten Frauen sehen deutlich mehr Handlungsbedarf als die Männer. Und zwar auf drei Ebenen. Erstens auf der staatlichen: Kostengünstigere externe Kinderbetreuung und Ganztagesschulen werden oft als hilfreiche Massnahmen genannt. Zweitens auf Ebene der Unternehmen: 48 Prozent der befragten Frauen finden, dass es mehr Anstrengungen von Seiten der Arbeitgeber für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie brauche. Und drittens auf individueller Ebene: 63 Prozent der Frauen sind der Ansicht, dass eine geteilte Verantwortung für Haushaltsorganisation und Kinder für die bessere Vereinbarkeit hilfreich wäre. Dieser Ansicht sind jedoch nur 35 Prozent der befragten Männer. Nirgendwo ist der Einschätzungsunterschied grösser.
«Freie Berufe haben Vorbildfunktion»
Diesen Faden nahm die Altbundesrätin Doris Leuthard während ihres Input-Referats am Tag der freien Berufe auf: «Kinder bringen eine Verantwortung für beide Partner», sagte sie. Sie nehme die Schweizer Gesellschaft in diesen Belangen als sehr konservativ wahr. Es sei hierzulande immer noch zu häufig Sache der Mütter, zurückzustecken und die Last zu tragen. «Wir sollten junge Mütter ermuntern, das Thema mit ihrem Partner aktiv zu besprechen. Kinder und Karriere ist nur möglich, wenn beide sich engagieren.» Je mehr dies gesellschaftlich als normal angeschaut werde, desto mehr passiere es. «Die freien Berufe haben hier eine Vorbildfunktion, denn sie können ihre Strukturen selbst bestimmen», sagte Leuthard. Arbeitgeber müssten viel offener und flexibler werden.
«Schon wenn jede Frau zehn bis zwanzig Prozent mehr arbeiten würde, würde das wesentlich zur Entschärfung des Fachkräftemangels beitragen», sagte die Altbundesrätin. Davon hänge die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz in einem zunehmend schwierigen internationalen Umfeld ab. «Die Gesellschaft muss sich bewusst werden: Wir fallen international zurück», sagte Leuthard. Wolle die Schweiz nicht weiter zurückfallen, brauche sie ein modernes gesellschaftliches Bild von Familie.