Zahnmedizin aktuell

«Parodontitis ist Fluch und Segen zugleich»

Rund 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung leidet an Parodontitis. Der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Parodontologie Christoph Ramseier erzählt von seinen Plänen, die Krankheit einzudämmen, und was das alles mit Covid-19 zu tun hat.

Parodontitis sei ein Risikofaktor für eine schwere Covid-Erkrankung – diese Schlagzeile tauchte Anfang Sommer in verschiedenen Medien auf. Die Artikel stützen sich alle auf eine Studie aus Katar. Die Forscher hatten Röntgenbilder von Patienten mit schwerem Covid-Verlauf auf andere medizinische und zahnmedizinische Befunde hin überprüft. Der direkte Zusammenhang zwischen Parodontitis und einer ernsten Covid-Erkrankung ist noch nicht erwiesen. Dazu wäre eine gross angelegte Studie nötig, was aufgrund der Pandemie zurzeit nicht möglich ist. Studien aus anderen Ländern weisen jedoch in dieselbe Richtung.

Einerseits nimmt man an, dass sich die Coronaviren im Speichel sammeln und über das entzündete Parodont schneller in den Blutkreislauf und in die Lunge gelangen. Dadurch erhöht sich das Risiko für Blutgerinnsel in der Lunge. In der Folge funktionieren bestimmte Lungenbereiche nicht mehr, und es kommt zu Sauerstoffmangel. Eine andere Erklärung lautet, dass das Immunsystem von Menschen mit unbehandelter Parodontitis chronisch belastet ist. Es kann daher nur eingeschränkt auf eine Infektion mit Coronaviren reagieren.

Dr. Christoph Ramseier, Privatdozent an der Klinik für Parodontologie der Universität Bern und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Parodontologie (SSP), hofft, dass die Parodontitis durch die Medienberichterstattung etwas mehr Aufmerksamkeit erhält: «Die Krankheit wird wegen der Assoziation mit Covid-19 zwar nicht plötzlich allseits bekannt sein. Aber wir können vielleicht das Bewusstsein stärken, dass Parodontitis behandelt werden muss – und dass dies durch regelmässige zahnärztliche und dentalhygienische Betreuung möglich ist.»

Jeder Zahnarzt kann zur Prävention beitragen

Um die Bevölkerung zu sensibilisieren und Parodontitis vorzubeugen, genüge es nicht, die Menschen zur regelmässigen Zahnpflege zu ermahnen, davon ist Christoph Ramseier überzeugt. Vielmehr müsse die Lebens- und Arbeitswelt so gestaltet werden, dass das gewünschte Verhalten automatisiert wird; zum Beispiel, indem die Produkte für die Reinigung der Zahnzwischenräume relativ günstig angeboten werden. Nicht zuletzt könne auch jeder einzelne Zahnarzt, jede einzelne Zahnärztin zur erfolgreichen Prävention der Parodontitis beitragen, sagt Ramseier nachdrücklich: «Jeder Zahnarzt kann dem Patienten erklären, warum er ihn auf Zahn-, Zahnfleisch- und Schleimhauterkrankungen sowie auf entsprechende Risikofaktoren hin untersucht; dass dieses Screening bei der regelmässigen Zahnkontrolle letztlich am kostengünstigsten ist; und dass ihn je nach Schweregrad ein anderes Mitglied des Praxisteams behandelt. Wichtig ist auch der regelmässige Recall. Durch die lebenslange Betreuung der Patienten ist eine Verbesserung möglich, und die erreichten Resultate können stabilisiert werden.»

Ramseier empfiehlt den Praxen ein Vorgehen gemäss den Richtlinien der European Federation of Periodontology (EFP). Beim ersten Termin beurteilt die Zahnärztin den parodontalen Zustand des Patienten, danach werden Parodontitispatienten einer Dentalhygienikerin oder Gingivitispatienten einer Prophylaxeassistentin zugeteilt. Ramseier gibt jedochzu bedenken: «Um die parodontale Gesundheit bei allen Schweizerinnen und Schweizern so gut wie möglich zu betreuen, bräuchten wir eigentlich mehr Dentalhygienikerinnen und mehr Prophylaxeassistentinnen. Denn nicht alle Zahnärzte sind bereit, selber Dentalhygienebehandlungen zu machen.» Ramseier wünscht sich deshalb, dass künftig mehr DH und PA ausgebildet werden.

Ein Jubiläum und drei Visionen

Seit fast einem Jahr ist Christoph Ramseier Präsident der SSP. Ein Meilenstein für die Fachgesellschaft wird das 50-Jahr-Jubiläum, das im September 2021 ansteht. Dazu schenkt sich die SSP eine neue Website und einen Rückblick in Videoform.

Daneben hat Christoph Ramseier für seine Amtszeit als Präsident weitere Pläne. Erstens möchte er die Bevölkerung besser über parodontale Erkrankungen informieren. «Parodontitis ist Fluch und Segen zugleich», erklärt er. «Ein Fluch, weil man, wenn die Krankheit unbehandelt bleibt, irgendwann seine Zähne verliert. Ein Segen, weil man trotzdem kaum Schmerzen hat. Und das ist wiederum schlecht für die Prävention. Deshalb müssen wir unsere Patienten noch besser informieren.» Zweitens möchte er, dass die Praxen ein nachhaltiges Vertrauensverhältnis zu den Patienten aufbauen und deren Versorgung auch langfristig planen. So könne die Behandlung optimiert werden. Drittens will Ramseier versuchen, vermehrt neue Mitglieder für die Fachgesellschaft zu gewinnen. Damit würden auch zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um eine bereits geplante Informationsoffensive in den Medien und auf Social-Media-Plattformen zu starten. Eine solche Kampagne nützt den SSP-Mitgliedern und allen Praxisteams, ist Ramseier überzeugt. «Man gewinnt viel Zeit, wenn man einem vorinformierten Patienten nicht im Detail erklären muss, was Parodontitis ist und was er dagegen unternehmen kann.»

Die Digitalisierung führt zu neuen Möglichkeiten

Wie viele andere Fachgesellschaften hat sich auch die SSP im vergangenen Jahr stark mit der Digitalisierung beschäftigt. Wegen der Pandemie wurde die Jahrestagung 2020 kurzfristig auf ein Onlinestreaming umgestellt. Aufgrund dieser Erfahrung möchte Ramseier künftig nebst der Tagung auch zusätzliche, kleinere Hybridveranstaltungen etablieren.

Und auch in der Patienteninformation eröffnet die Digitalisierung ganz neue Möglichkeiten. Nebst der Information über soziale Medien und Websites wie www.parodont.ch (siehe Kasten) möchte Ramseier auch die bestehenden Patientendaten besser nutzen. «Wird ein Patient mit chronischer Parodontitis an mich überwiesen, weiss ich normalerweise nichts über seine parodontale Vorgeschichte. Diese Information wäre aber sehr wichtig, damit nicht jeder Behandler erneut eine Beurteilung vornehmen muss.» Abhilfe verspricht ein digitales Tool, das Ramseier über die Website www.perio-tools.com zugänglich macht. Patienten oder auch Zahnärztinnen und Zahnärzte können hier ihre Daten eintragen. Diese werden nicht auf einem Server gespeichert, die Nutzer bleiben anonym. «Ich weiss lediglich, dass täglich im Schnitt 600 Zugriffe auf die Website verzeichnet werden. Das Tool wird also definitiv genutzt.»

Und Christoph Ramseier denkt noch weiter: «Irgendwann haben wir die Paro-Daten vielleicht auf dem Mobile Device, nebst den anderen Gesundheitsdaten, die alle über eine Smartwatch gesammelt werden. Das hilft nicht nur dem Behandelnden, sondern auch dem Patienten selbst: Genau wie beim Sport wird uns die Smartwatch vielleicht eines Tages anspornen, unsere Parodontitiswerte zu verbessern.»

 

Patienteninformationen und Online-Tools

Die viersprachige Website www.parodont.ch bietet einfache Erklärungen und Illustrationen zum Thema Parodontologie. Auf www.perio-tools.com finden Zahnmediziner einfache Werkzeuge zur Erfassung des Parodontalstatus und zur Unterstützung bei der parodontalen Nachsorge (Recall) sowie Informationen über Parodontitis. Beide Websites stehen allen Interessierten zur Verfügung und sind gut geeignet zur Patienteninformation. Erarbeitet wurden die Inhalte in Zusammenarbeit mit den ZMK Bern unter der Verantwortung von PD Dr. Christoph Ramseier.

Zurück zur Übersicht

Wir verwenden Cookies und Analysetools, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten. Indem Sie auf der Seite weitersurfen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies und Analysetools zu. Weitere Infos finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Ich stimme zu

Nous utilisons des cookies et des outils d’analyse dans le but de vous offrir le meilleur service possible. En poursuivant votre navigation sur notre site, vous acceptez nos cookies et nos outils d’analyse. De plus amples informations sont disponibles dans nos règles de confidentialité.

J’accepte