Wie sieht die Zahnarztpraxis der Zukunft aus? Wie beeinflussen aktuelle Entwicklungen den Markt in der Schweiz? Und wie wird sich der Beruf verändern? Diese Fragen stellte die Schweizerische Gesellschaft für orale Implantologie ins Zentrum einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung in Bern. Auf dem Podium sassen jeweils ein Vertreter der SSO, der Privatpraktiker, der Universität und der Forschung sowie von Industrie und Investmentgruppe. Sie beleuchteten die Situation der Schweizer Zahnmedizin aus verschiedenen Blickwinkeln.

Ein Berufsbild im Wandel

Prof.?Ivo Krejci von der Universität Genf hält die Einzelpraxis tendenziell für überholt und für zu wenig flexibel, um sich längerfristig im Markt halten zu können. Prof.?Rudolf Blankart von Sitem-Insel AG, dem neuen translationalen Forschungszentrum in Bern, stimmte ihm zu. Viele Zahnarztpraxen seien schlecht vorbereitet auf den Strukturwandel, meinte er. Weil Einzelpraxen zu wenig Kapital investieren können, schlössen sich immer mehr Praxen zu Gruppen oder Ketten zusammen.
Krejci sieht vor allem auch das Berufsbild in einem Wandel. Einerseits entwickelt sich die Aufgabe des Zahnarztes laut Krejci immer stärker zu einem Coaching, das den Patienten ermächtigt, Zähne und Mund eigenverantwortlich gesund zu halten. Andererseits sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis künstliche Intelligenz und Robotik wichtige Aufgaben des Zahnarztes übernehmen. «Die Forschung in diesem Bereich ist bereits weit fortgeschritten. Alles wird automatisiert.» Noch liege die Verantwortung beim Zahnarzt. Aber sobald die entsprechenden Algorithmen validiert seien, werden sie auch Verantwortung übernehmen.

Die Einzelpraxis hat Zukunft

Für den SSO-Präsidenten Jean-Philippe Haesler hingegen ist klar, dass die Einzelpraxis sehr wohl eine Zukunft hat. Er untermauerte seine Aussage mit der Statistik: «Rund 60 Prozent der Zahnarztpraxen in der Schweiz sind Einzelpraxen», betonte er. Unabhängig von der Organisationsform der Praxis sei es jedoch wichtig, dass das Patientenwohl im Zentrum stehe. «Der Patient muss sich sicher sein, dass seine Bedürfnisse für den Behandler an oberster Stelle stehen und nicht die finanziellen Interessen der Praxis.»
Der andere Privatpraktiker in der Runde, Thomas Müller aus Schaffhausen, verteidigte ebenfalls die Bedeutung der Einzelpraxis. «Auch kleine Praxen können bestehen, aber sie müssen agil sein», meinte er. Die Digitalisierung biete zwar spannende Möglichkeiten, jedoch: «Technologie ist teuer.» Viele Praxisinhaber würden Geräte allzu unkritisch kaufen. Jeder sollte sich vor der Anschaffung fragen: Bringt das meiner Praxis einen Gewinn? Unter Umständen könne es auch sinnvoll sein, ein Gerät mit Berufskollegen zusammen zu nutzen. Müller ist aber überzeugt, dass digitale Methoden nicht nur reichen Patienten zugutekommen sollen. Durch den Effizienzgewinn können sie letztlich günstiger sein als herkömmliche Methoden.

Ausbildung und Betreuung

Daniel Fehr, CFO der Colosseum Dental Group, die unter anderem die Zahnärztekette Swiss Smile betreibt, verteidigte das Geschäftsmodell der Zahnarztgruppen und -ketten. Er betonte, dass die ­Eigentümerin der Colosseum Dental Group, die Jacobs Stiftung, nicht auf schnellen Gewinn aus sei. Auf den Vorwurf, junge Zahnärzte, die ihre erste Stelle nach dem Studium in einer Zahnärztekette annehmen, würden zu wenig gut ausgebildet, konterte er. Die Gruppe investiere sehr viel in die Ausbildung ihrer Mitarbeiter, sie betreibe sogar eine eigene Academy. Das genüge nicht, entgegnete Jean-Philippe Haesler: «Ein junger Zahnarzt braucht nicht nur eine Ausbildung, sondern auch die Betreuung eines erfahrenen Zahnarztes.»
Die Qualität der Patientenbetreuung ­stehe auch in Praxen einer Zahnarztkette im Mittelpunkt, beantwortete Fehr eine Frage aus dem Publikum. Dafür sorge bei seiner Gruppe ein Medical Board, das ­unabhängig entscheiden könne. Aber er fügte an: «Wir sind keine Non-Profit-­Organisation. Die Qualität der Behandlungen und die Finanzen müssen im Gleichgewicht stehen.»

Betriebswissenschaftliches Denken ist nötig

Einen positiven Blickwinkel auf die aktuelle Situation hat Daniel Recher, Leiter der Abteilung Biomaterialien der Straumann Group und Inhaber einer Beratungsfirma. Er sei begeistert von neuen Technologien wie 3-D-Druck oder Telemedizin. Im Zug der Digitalisierung werde der Zahnarzt vermutlich einige Aufgaben an Maschinen oder Algorithmen abgeben und sich auf andere Tätigkeitsfelder verlegen. Insofern werde sich das Berufsfeld verändern. Von den Zahnarztpraxen verlange diese Entwicklung eine entsprechende Positionierung. Auch für eine Einzelpraxis, die kaum digitale Behandlungsmethoden anwende, gebe es einen Markt. Zahnärzte müssen sich aber bewusst sein, dass ein Minimum an betriebswissenschaftlichem Denken nötig sei, um eine Praxis erfolgreich zu führen.
Sicher sei, die Digitalisierung könne man nicht aufhalten, sagte Recher ab­schlies­send. «Wir als Medizinfachpersonen sind verpflichtet, den Strom in die richtige Richtung zu lenken, sodass jeder Patient von einer guten Versorgung profitieren kann.»