Zahnmedizin aktuell

Wie Zahnärzte in der Schweiz und in Liechtenstein die epidemiologische Situation von Covid-19 bewerten

Welche Auswirkungen hatte die Covid-19-Pandemie auf die Schweizer Zahnarztpraxen? Die Ergebnisse einer Online-Umfrage zeigen, dass die Hälfte der Praxen auch nach der Lockerung der Massnahmen nicht mehr gleich gut ausgelastet sind wie vor dem Lockdown.

Am 31. Dezember 2019 wurde aufgrund von Fällen von Lungenentzündung mit unbekannter Ursache der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Covid-19-Epidemie mit einer Anzahl von 44 bestätigten Fällen bis zum 3. Januar 2020 in Wuhan City (Provinz Hubei, China) gemeldet (WHO 2020a). Am 12. März wurde diese Epidemie schliesslich von der WHO als beherrschbare Pandemie charakterisiert, bei der sich die betroffenen Mitgliedsstaaten weiterhin auf die Eindämmung und nicht auf die Linderung konzentrieren sollten (WHO 2020b). Das neue Beta-Coronavirus SARS-CoV-2 (Severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2) wurde Anfang 2020 als Auslöser für Covid-19 identifiziert. Im Schweizer Kanton Tessin, der an Norditalien und die Region Lombardei grenzt, wurden Anfang Februar zunehmend SARS-CoV-2-positive Personen ermittelt. Der Anstieg war so rasant, dass der Bundesrat am 28. Februar die Situation als «besondere Lage» im Sinne des Epidemiengesetzes beurteilte und die Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) verabschiedete. In der Folge wurden Grossanlässe mit mehr als 1000 Teilnehmern verboten. Am 1. März startete eine Kampagne des Bundesamtes für Gesundheit mit Hygieneempfehlungen zum Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion (FOPH 2020). Die Vereinigung der Kantonszahnärztinnen und Kantonszahnärzte der Schweiz (VKZS) entwickelte während der Geltungsdauer der vom Bundesrat am 16. März verabschiedeten Notstandsgesetzgebung ein Schutzkonzept für Zahnarztpraxen (VKZS 2020).

Ebenfalls am 16. März definierte der Bundesrat die «ausserordentliche Lage» aufgrund der höchsten Gefahrenstufe mit Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung nach dem Epidemiengesetz. In der Folge wurden alle Geschäfte, Restaurants, Bars sowie Unterhaltungs- und Freizeiteinrichtungen mit Ausnahme von Lebensmittelgeschäften und Einrichtungen des Gesundheitswesens bis zum 19. April 2020 geschlossen (Lockdown) (FOPH 2020). Aufgrund der durch diese Verordnung auferlegten massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens wurden alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte und Dienstleistungen mit sofortiger Wirkung geschlossen. Die Ausnahmesituation wurde noch einmal bis zum 26. April verlängert. Gemäss der Covid-19-Verordnung mussten Praxen und Einrichtungen von Angehörigen der Gesundheitsberufe über ein der Situation und dem Betrieb angemessenes Schutzkonzept verfügen (FOPH 2020). Durch den von der VKZS und der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft SSO gemeinsam initiierten sogenannten Smart Restart konnte durch die individuelle Umsetzung der Schutzmassnahmen die Wiedereröffnung von Zahnarztpraxen für die Patientenversorgung seit dem 27. April 2020 weitgehend ohne Einschränkungen ermöglicht werden (SSO 2020). Die meisten Notfallmassnahmen sind seit dem 11. Mai aufgehoben worden, Grossanlässe wurden jedoch weiterhin bis Ende August verschoben.

Ein wissenschaftlicher Konsens über die Covid-19- Pandemie warnt vor einer zweiten Welle in Europa und empfiehlt dringend eine klare Kommunikation über die Risiken von Covid-19 und wirksamen Kontrollstrategien (Altan et al. 2020). Ziel dieser beobachtenden Querschnittsstudie war es daher, Informationen über das Bewusstsein der Zahnärzte, Schutzmassnahmen und wirtschaftliche Auswirkungen während der globalen Covid-19-Pandemie in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein zu erhalten. Die gesammelten Daten sollen helfen, die beste Strategie in der Covid-19- Pandemie zu definieren und dem zahnärztlichen Personal in beiden Ländern helfen, die Krise bestmöglich zu bewältigen.

Die Schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft SSO hat dazu in Kooperation mit der Universität Bern und dem WHO Collaborating Centre for Epidemiology and Community Dentistry eine Online-Fragebogen-Studie durchgeführt. Dafür wurden mittels Online-Umfrage 4328 SSO-Mitglieder mit Mitgliedsstatus Aktivmitglied A, B oder C angeschrieben. Der Fragebogen basierte auf Vorlage einer Studie, die in der Lombardei (Italien) durchgeführt wurde. Es nahmen insgesamt 1332 Kolleginnen und Kollegen teil, was einer Rücklaufquote von ca. 31 Prozent entspricht.

Erste deskriptive Ergebnisse werden an dieser Stelle zur Verfügung gestellt:

  • Hinsichtlich des Gesundheitszustands hat die überwiegende Mehrheit (n = 1178; 88%) der Teilnehmenden von keinerlei Symptomen berichtet, 107 wurden negativ auf Covid-19 getestet (8%). Während von lediglich 35 Teilnehmenden (3%) eines oder mehrere Symptome, die mit Covid-19 in Verbindung gebracht werden, festgestellt wurden, waren lediglich zehn Teilnehmende positiv auf Covid-19 getestet worden (< 1%), zwei Personen davon wurden im Krankenhaus ärztlich behandelt.
  • Die am häufigsten (> 30%) berichteten Covid-19-Symptome waren: Erschöpfung, Kopfschmerzen, Husten, Halsschmerzen und Fieber (n = 37), seltener (< 30%) wurden Durchfall, Atembeschwerden, Nasenverstopfung, diffuse Schmerzen, Anosmie/Ageusie oder Rhinorrhoe angegeben.
  • Knapp 71% der Teilnehmenden haben ihre Praxistätigkeit seit Pandemiebeginn weitergeführt (bis zum Zeitpunkt der Erhebung bis 16. Juli 2020) unter verschärfter Beachtung des vorgeschriebenen Hygieneregimes und der zusätzlich empfohlenen Massnahmen einschliesslich der zeitweiligen Beschränkung auf Notfälle, die nicht verschoben werden konnten (n = 639). Für einen gewissen Zeitraum (durchschnittlich sechs Wochen, Angaben: Minimum eine Woche, Maximum 24 Wochen) mussten ca. 29% (n = 380) ihre Praxistätigkeit einstellen bzw. die Praxis schliessen, davon ca. 4% (n = 58) verordnet durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG).
  • Die Ergebnisse zeigen, dass die Praxistätigkeit aufgrund der behördlichen Bestimmungen seit Beginn der Pandemie bis zur ersten Lockerung der Massnahmen bei 70% zwischen 0 und 10% der üblichen Auslastung und bei 12% bei 11 bis 20% lagen (n = 1332). Von der ersten Lockerung der Massnahmen bis zur zweiten Lockerung waren immer noch mehr als ein Drittel der Teilnehmenden bei weniger als 60% der Praxistätigkeit im Vergleich zu vor Pandemiebeginn. Auch nach der zweiten Lockerung der Massnahmen bis heute konnten lediglich 51% ihre Praxistätigkeit wieder auf das Niveau von 91 bis 100% heben, 21% auf 81 bis 90%. Dies bedeutet, dass fast 30% ihre Tätigkeit auf einem Niveau zwischen 0 und 80% weiterführten.
  • Die folgenden Massnahmen wurden von mehr als 80% aller Teilnehmenden in der Zahnarztpraxis durchgeführt: Beseitigung von Zeitungen und Zeitschriften aus dem Wartebereich, Desinfektion der Griffe mehrmals täglich, Abstand von mindestens zwei Metern zwischen Patienten im Wartezimmer, Beseitigung von Kinderspielzeug aus dem Wartebereich, Belüftung des Behandlungsbereichs nach jedem Patienten, regelmässige Belüftung von Warteräumen, Desinfektion von Oberflächen und Behandlungsstühlen mehrmals täglich, Waschen und/oder Desinfizieren der Hände des Patienten, Tragen von Handschuhen bei allen Patientenkontakten, aktuelle Anamnese der Patienten, die zur Konsultation erscheinen, Desinfektion der Hände des Behandlers vor und nach jedem Patientenkontakt, telefonische Triage nach regionalen Empfehlungen mit möglicher Umplanung von positiven und verdächtigen Fällen sowie Ausdünnung der Termine, um das Wartezimmer nicht zu sättigen.
  • Die Oberflächendesinfektion ist in der Zahnarztpraxis Routine, 84% verwendeten die üblichen Desinfektionsmittel, 17% Ethylalkohol und 1% Natriumhypochlorit (0,5%).
  • 63% liessen bei Patienten eine Mundspülung durchführen mit Wasserstoffperoxid (1,5%), 31% mit Chlorhexidin (0,12–0,2%), 4% mit Iodopovidon (0,2–1%) und 1% mit Alkohol und ätherischen Ölen (n = 857).
  • Als übliche Schutzmassnahmen wurde von den Teilnehmenden angegeben: unsterile Einweghandschuhe (91%), Schutzbrille oder Visier (88%), chirugische Mund-Nasen-Maske (77%) und FFP2/FFP3-Filter bei 53% (n = 1323).
  • Lediglich 7% behandelten auf SARS-CoV-2 positiv getestete Personen bzw. Verdachtsfälle (n = 1307). Dabei galt als Standardmassnahme bei Covid-19-positiven Patienten ein FFP2/FFP3-Filter, Schutzbrille oder Visier, unsterile Einweghandschuhe; in zahlreichen Fällen wurde zudem ein steriler/unsteriler Einwegkittel verwendet.
  • Während sich ca. ein Drittel der Teilnehmenden online über Covid-19 fortgebildet hat, haben sich 96% Kenntnisse auf anderem Weg angeeignet (n = 1315). 86% gaben an, dass sie von ihren Berufsvertretungen/Fachgesellschaften hinreichend über Covid-19 informiert wurden. Sogar 97% gaben an, dass sie ausreichende Kenntnisse zur Verringerung des Ansteckungsrisikos erlangt haben. Die überwiegende Mehrheit (72%) gab an, dass das Ansteckungsrisiko in Zahnarztpraxen unwahrscheinlich bis sehr unwahrscheinlich ist (n = 1330). 66% waren sicher, dass das Infektionsrisiko in der Zahnarztpraxis vermieden werden kann.
  • Die endgültige oder drohende Praxisaufgabe aufgrund der ökonomischen Situation ist bei 1% (n = 18) der Teilnehmenden zu erwarten (n = 1305). Die Umfrage wurde im Juli durchgeführt, nachdem die Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus zum ersten Mal gelockert worden waren.

Literatur

Alwan N A, Burgess R A, Ashworth S, Beale R, Bhadelia N, Bogaert D, Dowd J, Eckerle I, Goldman L R, Greenhalgh T, Gurdasani D, Hamdy A, Hana-ge W P, Hodcroft E B, Hyde Z, Kellam P, Kelly-Irving M, Krammer F, Lipsitch M, McNally A, McKee M, Nouri A, Pimenta D, Priesemann V, Rutter H, Silver J, Sridhar D, Swanton C, Walensky R P, Yamey G, Ziauddeen H: Scientific consensus on the COVID-19 pandemic: we need to act now. Lancet 2020, S0140-6736(20)32153-X.

Vereinigung der Kantonszahnärztinnen und Kantonszahnärzte der Schweiz VKZS: Positionspapier. Covid-19-Vorgaben zum Betrieb einer Zahnarztpraxis während der Covid-19-Pandemie. Online verfügbar: www.sso.ch/fileadmin/upload_sso/0_Home/2_Newsrollbox/0_PDF/Covid-19-Posi-tionspapier.pdf (letzter Zugriff 23. Oktober 2020).

Schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft SSO & Vereinigung der Kantonszahnärztinnen und Kantonszahnärzte der Schweiz VKZS: Positionspapier. COVID-19-Kommunikation. Frequently Asked Questions zum Smart Restart. Online verfügbar: www.sso.ch/fileadmin/upload_sso/5_Newslet-ter/2020/Covid-19-Positionspapier3-7.pdf (letzter Zugriff 23. Oktober 2020). Bundesamt für Gesundheit BAG der Schweizerischen Eidgenossenschaft: New coronavirus: Situation in Switzerland. Online verfügbar: www.bag.ad-min.ch/bag/en/home/krankheiten/ausbrueche-epidemien-pandemien/aktuelle-ausbrueche-epidemien/novel-cov/situation-schweiz-und-inter-national.html (letzter Zugriff 23. Oktober 2020).

World Health Organization (a): Rolling updates on coronavirus disease (COVID-19). Online verfügbar: www.who.int/emergencies/diseases/novel- coronavirus-2019/interactive-timeline (letzter Zugriff 23. Oktober 2020).

World Health Organization (b): Coronavirus disease (COVID-19) Weekly Epidemiological Update and Weekly Operational Update. Online verfügbar: www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports (letzter Zugriff 23. Oktober 2020)

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